Köpfe in Konfrontation

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Barocker Neuerer gegen heutigen Bildhauerstar im Belvedere.

Die Bildnerei ist Wahrheit, die Malerei Traum; Eine Bildsäule kann mich umfassen, dass ich vor ihr knie, ihr Freund und Gespiele werde, sie ist gegenwärtig, sie ist da.

Der Philosoph Johann Gottfried Herder war einer der wenigen Intellektuellen im Laufe der Jahrhunderte, der im Streit um die Vorherrschaft der Künste für die Bildhauerei Partei ergriff. Seit Herders für die Emanzipation der Skulptur so bedeutendem Aufsatz "Plastik" (1778) hat sich diese allerdings grundlegend gewandelt. War man noch im 19. Jahrhundert der Meinung, dass das ausschließliche Thema der Skulptur der Mensch sei, so ist seit Beginn der Moderne keineswegs mehr klar, dass Plastik etwas mit dem Menschenbild und mit Körperhaftigkeit zu tun habe. Marcel Duchamps "Readymades", Joseph Beuys' "Soziale Plastik" oder Franz Wests "Paßstücke" zeigen, dass sich die Bildhauerei im 20. Jahrhundert so stark wie keine andere Kunstart verändert hat.

Um die Besonderheit der Skulptur geht es auch in einer aktuellen Ausstellung des Belvedere, die sowohl in der Medienlandschaft als auch bei den Besuchern auf starkes Interesse gestoßen ist. Denn in der Orangerie des Unteren Belvedere zeigt Agnes Husslein-Arco eine Gegenüberstellung des bedeutenden Barockbildhauers Franz Xaver Messerschmidt mit dem 1949 in Liverpool geborenen Bildhauerstar Tony Cragg. Ein kluger Schachzug im Wettkampf um die Gunst der Besucherschaft, denn die Konfrontation zwischen Geschichte und Gegenwart lockt Jung und Alt ins Museum.

Eine Konfrontation zwischen zwei Künstlern, deren Werk in zwei so unterschiedlichen Epochen entstand, ist immer ein Wagnis. Zugleich aber eine spannende Herausforderung, die Vertrautes anders sehen und Neues leichter annehmen lässt. Messerschmidts Charakterköpfe mit den Skulpturen eines zeitgenössischen Künstlers kommunizieren zu lassen, sei ihr seit Beginn ihrer Tätigkeit als Belvedere-Direktorin vor Augen geschwebt, bekennt Husslein-Arco im Katalog. Warum gerade Tony Cragg? Schließlich haben Messerschmidts außergewöhnliche Studien des menschlichen Gesichts schon eine Reihe von Künstlern angeregt - darunter Arnulf Rainer, Bruce Nauman und Cindy Sherman.

Ihre Wahl fiel auf Cragg, so Husslein-Arco, da beide Künstler "eine konsequente Bereitschaft zum Experiment und zur Suche nach neuen Inhalten und Formen teilen". Der Griff scheint, folgt man dem positiven Echo, geglückt. Tatsächlich wirkt die stimmungsvolle Gestaltung und die räumliche Gegenüberstellung der kleinen "Schnabel-" und "Schafsköpfe" und der großformatigen abstrakten Cragg-Objekte auf den ersten Blick perfekt. Während Franz Xaver Messerschmidt in seinen markanten Köpfen in einer für damals vollkommen innovativen Weise dem Menschen und seiner psychischen Befindlichkeit auf den Grund geht, lassen sich menschliche Silhouetten in Craggs Skulpturen nur mehr schemenhaft erkennen. Die entfernt an Köpfe erinnernden plastischen Gebilde wirken so, als wären sie ständig in Bewegung. Sie verkörpern Menschen, deren Kontur durch die permanente Geschwindigkeit des gegenwärtigen Lebens nicht mehr dreidimensional festzuhalten ist.

Bei dem hervorragend inszenierten Rundgang schleicht sich aus kunstkritischer Sicht dennoch auch Unbehagen ein. Allzu glatt und hyperästhetisch wirken Craggs Skulpturen im Kontrast zu den heute immer noch provokanten Messerschmidt-Köpfen. Nach mehreren Konfrontationen entsteht der Eindruck, die Gegenüberstellung sei vor allem formal ausgerichtet. Schließlich verkörpern Tony Craggs Arbeiten einen äußerst etablierten, ja nahezu klassischen Skulpturbegriff. Wäre etwa eine Konfrontation von Messerschmidts Charakterköpfen mit den "One Minute Sculptures" des Österreichers Erwin Wurm nicht viel radikaler gewesen? Schließlich ringt Wurm ähnlich wie Messerschmidt mit der menschlichen Mimik und Gestik. Allerdings geht er von einem Skulpturenbegriff aus, der in seiner Momenthaftigkeit und Immaterialität - seine bewegten Skulpturen existieren nur eine Minute lang - in scharfem Kontrast zu Messerschmidts Zinn-, Blei- oder Alabaster-Köpfen steht.

Tony Cragg >

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