Körper, Kirche, Knittelverse

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Das Schauspielhaus Wien zeigt als Koproduktion mit den Festwochen Josef Winklers "Wild wuchern die Wörter in meinem Kopf. Ein Triptychon". Kreuzbraves Theater.

Kaum ein literarisches Werk ist so sehr mit der Biografie des Autors verwoben wie das von Josef Winkler. Man kann sogar sagen, dass die Bücher des 1953 im kärntnerischen Kamering geborenen Bauernsohnes seine Biografie sind. Winkler schreibt, weil er schreiben muss. Von seinem 1979 erschienenen Debütroman "Menschenkind" bis hin zu seinem bisher letzten Buch "Roppongi. Requiem für einen Vater" (erschienen 2008) kreist sein literarisches Schaffen obsessiv um die Schrecken seiner Kindheit auf dem Dorfe. Winkler hat sich als junger Mann in und durch die Literatur gerettet: vor der tyrannischen Härte des Vaters, dem verängstigten Schweigen der Frauen, vor der engherzigen katholischen Kirche, vor der Kälte und der Doppelmoral einer intoleranten Kärntner Dorfgemeinschaft, die jedes Abweichen von der Norm brutal unterdrückte. Winklers Literatur ist zu großen Teilen Geständnisliteratur, die Themenauswahl ist dementsprechend schmal, scharf akzentuiert und oft von einer geradezu schonungslosen Selbstentblößung. Tod, (Homo-)Sexualität und die Kirche sind die immer wiederkehrenden Topoi seiner Bücher. Für das Gebetsmühlenartige seines Werkes wurde Winkler oft gescholten, 2008 wurde er trotzdem mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet.

Spärlich gekleidete männliche Leiber

Alexandra Millner, die Dramaturgin des Wiener Schauspielhauses, hat um die thematische Trias Schreiben, Kirche, Homosexualität herum eine Textcollage aus Winklers Werk zusammengestellt, die der italienische Regisseur Antonio Latella zur Uraufführung bringen durfte.

Auf drei blank gescheuerten Industriepaletten liegen, kauern, räkeln sich drei spärlich gekleidete männliche Leiber. Wenn sie als Gekreuzigte oder Gehängte posieren, erinnern sie in ihren weißen Unterhosen an Darstellungen von christlichen Märtyrern. In einer Landschaft von einem Dutzend Blechbottichen im Hintergrund schält eine bäuerlich gekleidete Frau geduldig Kartoffel um Kartoffel. Sie wird während des 100-minütigen Wortstroms nichts anderes tun, als stumm und duldsam ihre Arbeit verrichten.

Es beginnt ein auf drei Figuren - ein Schriftsteller (Steffen Höld), ein Priester (Vincent Glander) und ein Transvestit (Max Meyer) - aufgeteilter Monolog mit dem ABC aus Winklers literarischem Kosmos: "Anfang, Auferstehung, anal", "Buchstabe, Bibel, blasen" bis hin zu "Oblomow, Oblate, Orgasmus" heißt stets die unheilige Dreifaltigkeit. Während aus dem Off unaufhörlich eine Schreibmaschine klappert, rezitieren die drei Winkler'schen Ichs in einer Art innerem Monolog eineinhalb Stunden lang Fragmente aus Winklers lyrischer Existenzialistenprosa. Immer wieder geht es um den Kampf, den er für das Schreiben führen muss, die quälende Suche nach den richtigen Worten, das Ringen mit der Sprache, die Sprache aus der Kindheit, die abgewürgt wurde in Liebe und in Hass, die aber half, ein Loch in die Mauer zu brechen, in die Freiheit weg von den Eltern, und die nun schließlich als Waffe dient, gegen den verhassten Vater, gegen die bigotte Kärntner Kerkerwelt.

Neobarocke Sprachkaskaden

Vom erzählenden Monolog über die Litanei, die Meditation bis hin zum Furor ergießen sich Winklers expressive, neobarocke Sprachkaskaden, die den Zuschauer aber merkwürdig wenig berühren, obwohl da viel Intimes und Erschreckendes zu Protokoll gegeben wird, wie beispielsweise die berühmte Passage aus "Menschenkind", in der Winkler die Selbsttötung zweier Jugendlicher mit dem Kälberstrick schildert, weil sie ihre Homosexualität nicht ausleben konnten.

Die Texte Winklers sind zweifellos große Literatur, aber sie sind gänzlich undramatisch. Was in Zeiten des postdramatischen Theaters keineswegs ein Nachteil wäre, gäbe es einen Regisseur, der sich das zunutze zu machen wüsste. Und das ist das Problem dieses Abends. Denn der mit Genet und Pasolini vertraute Latella fügt den Textsuaden nichts hinzu, außer die Körper der Darsteller, die sich winden und wälzen, und setzt auch nichts dagegen, keine Brüche, keine Ironie, nichts. So bleibt trotz der mitunter schwülen Themen kreuzbraves, etwas altbackenes, bierernstes und langatmiges Theater. Man kann getrost behaupten, dass der passionierte Kinogeher Winkler für das Theater noch immer zu entdecken bleibt.

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