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Schön ist, was gefällt. Glaubt man den Hochglanzmagazinen, gefallen hagere Gestalten mit langen Beinen oder faltenlose Körper mit Waschbrettbauch. Die Sehnsucht, diesen Bildern zu entsprechen, treibt immer mehr Frauen und Männer in Fitnesscenter, zu ästhetischen Chirurgen oder in die Magersucht. Wie krank macht der gesellschaftliche Druck nach Jugend und äußerlicher Perfektion? Ist es möglich, sich ihm zu widersetzen? Dieses Dossier geht dem Schönheitswahn auf den Grund. Redaktionelle Gestaltung: Doris Helmberger

Das Ausmaß an Ästhetisierung ist ein guter Gradmesser für den Wohlstand einer Gesellschaft. Wenn Abermillionen in das Produktdesign, die Werbung und die Stilisierung von Marken fließen, dann hat das Überflüssige längst über das Notwendige triumphiert. Der Glanz der schönen neuen Warenwelt ergibt sich aus den Notwendigkeiten der Kapitalverwertung. Sobald ein Großteil der Verbrauchermärkte gesättigt ist und vielerlei Produkte um dieselbe Kundschaft buhlen, ist mit dem Nutzen von Konsumgütern allein kein Geschäft mehr zu machen. Sie müssen vor allem Prestige versprechen. Darauf beruht das Funktionieren der westlichen Konsumgesellschaft. Durch die Image-Werbung wird die Ware zum Ausdruck eines bestimmten Lebensstils, der Bewunderung wie Neid erweckt. Der Markenartikel adelt damit gewissermaßen den Besitzer oder die Besitzerin und verleiht Persönlichkeit, nach Möglichkeit eine einzigartige. Dieses Glücksversprechen von Einzigartigkeit wiederum gewährleistet jene Anziehungskraft, die tausende Menschen zum gleichen Produkt greifen lässt.

Designte Leiber

Das allgemeine Streben nach dem schönen Design, das sich im Konsum manifestiert, zeigt sich auch im Umgang der Menschen mit Körperlichkeit. Die Sozialbeziehungen generell scheinen in der Spätmoderne von der konsumistischen Warenförmigkeit zutiefst beeinflusst zu sein. Auffällig ist zunächst einmal, wieviel Geld, Zeit und Energie in die Attraktivierung des eigenen Körpers investiert wird. Appetitzügler, Diätpläne, Fitnessaktivitäten und Schönheitsoperationen - mit allerlei desaströsen Begleiterscheinungen wie Anorexie und Bulimie - haben Hochkonjunktur. Diese Ästhetisierung des Körpers erfolgt aus guten Gründen und unterliegt ähnlichen Gesetzmäßigkeiten wie der Warenkreislauf.

Zum einen favorisiert die nachindustrielle Arbeitswelt, nämlich der ungeheure Aufschwung an Dienstleistungs- und Präsentationsberufen, attraktive und telegene Menschen. Das Erscheinungsbild stellt in diesen Berufssparten ein wichtiges Kriterium für den Erfolg dar - aus der persönlichen Schönheit lässt sich berufliches wie ökonomisches Kapital schlagen, wovon nicht zuletzt die Inszenierungen in der Politik zeugen.

Zum anderen und mindestens genauso bedeutsam erscheint, dass sich seit geraumer Zeit die Konkurrenzbedingungen auf den Beziehungsmärkten verschärfen. Je später fixe Bindungen eingegangen werden, je brüchiger Ehegemeinschaften werden und je freizügiger Partnerschaften geführt werden, desto stärker die Fluktuation von Menschen auf der Suche nach einem schnellen Abenteuer oder nach der ewigen Liebe. In diesem Konkurrenzkampf geht es um den Gewinn von Aufmerksamkeit durch eine reizvolle Aufmachung, womit sich den Schönen regelmäßig bessere Chancen eröffnen. Wie in der Werbung wird die Schönheit mit einer Reihe positiver Eigenschaften assoziiert, von charakterlichen Vorzügen bis zu beruflicher Potenz, so dass das gute Aussehen auf eine außergewöhnliche Persönlichkeit und reiche Lebenswelt zu verweisen scheint.

Es nimmt also nicht Wunder, dass die Menschen danach trachten, ihre Jugendlichkeit zu erhalten, schlank und fit zu erscheinen, dass sie natürliche Makel beseitigen, die Haut glattrasieren und neuerdings auch mit Tattoos und Piercing versuchen, den Schönheitsstandards gerecht zu werden. Fabriziert wird dabei massenhafte Einzigartigkeit, zusehends auch beim männlichen Geschlecht, das in Zeiten weiblicher Selbständigkeit dazu angehalten ist, körperliche Vorzüge ins Spiel zu bringen, um Interesse zu wecken.

Revolutionäre Jugendkultur

Den heutigen Schönheitsmaßstäben wie dem gesamten Körperkult liegen Entwicklungen zugrunde, die im Zuge des enormen wirtschaftlichen Aufschwungs in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einsetzen. An erster Stelle ist hier die Ausbildung einer Jugendkultur zu nennen. Nicht nur, dass sich die Jugend gegen die spießigen, familienzentrierten Verhältnisse der Elterngeneration auflehnt, sondern sie wird auch tonangebend auf verschiedenen kulturellen Gebieten, wie der Mode, der Musik und im Film. Jeans, T-shirts, der Minirock, die Transparentbluse und der Monokini finden über ein ausgesprochen junges Publikum Verbreitung, und der jugendlich-schlanke Frauen- und Männerkörper, etwa einer Twiggy oder eines Mick Jagger, werden zu Schönheitsikonen.

Entblößt und sexualisiert

Die modischen Innovationen setzen zugleich eine ungeheure Entblößung des Körpers im öffentlichen Leben in Gang, die weit über die Freizügigkeiten der zwanziger Jahre hinausgeht. Körperliche Defizite sind kaum mehr durch Bekleidung zu kaschieren, während umgekehrt die Menge an vorbildlicher Nacktheit, sei es auf Plakaten, im Fernsehen oder Internet, unaufhörlich wächst. Die Tendenz geht also seit den sechziger Jahren dahin, dass Körper Leute machen, was die Mühen der physiognomischen Verschönerung verständlich erscheinen lässt.

Mit der Enthüllung steigt obendrein die Sexualisierung des Körpers in der westlichen Kultur. Galt einst der Hüftschwung von Elvis Presley als schamlos und der Rock'n'Roll als sexuell anstößig, so sind in heutigen Musikvideos Szenen aus dem Rotlicht- und S/M-Milieu zu bewundern. Ganz zu schweigen davon, dass der Sexmarkt wie nie zuvor floriert und sich das Pornogeschäft zu einer veritablen Industrie entwickelt hat. Damit steht mit der Jugendlichkeit und Schönheit stärker denn je die sexuelle Attraktivität auf dem Spiel. Es verwundert daher wenig, dass im Laufe der letzten Jahrzehnte jene Schönheitsprozeduren massiv zugenommen haben, die den sexuellen Reiz erhöhen sollen - die Enthaarung des Schambereichs, Intimpiercing, Gesäß- und Brustkorrekturen oder Penisvergrößerungen.

Die selbstbestimmte Sexualität der Frau, die der Feminismus seit den sechziger Jahren erkämpft hat, spielt eine Schlüsselrolle in diesem Prozess zunehmender hedonistischer Promiskuität. Freiheiten, die bis in die fünfziger Jahre allein dem Mann vorbehalten waren, im weitesten Sinn also Sex im Zeichen der Lust, erscheinen nunmehr für beide Geschlechter legitim. Die sexuell wie finanziell emanzipierte Frau belebt nicht nur den Beziehungsmarkt ganz außerordentlich, sondern trägt auch dazu bei, dass die Ansprüche an den Mann steigen.

Gut sechzig Jahre vor dem Entstehen einer breiten Jugendkultur, vor der so genannten "sexuellen Befreiung" und dem Feminismus zeichnen sich erstmals jene Veränderungen ab, die an heutige Schönheitsstandards denken lassen.

Für die breite Masse der Bevölkerung bietet die Arbeiterbewegung um 1900 eine bis dahin nicht gekannte Vielfalt an Turn- und Sportmöglichkeiten. Eine gesunde, hygienische Körperlichkeit und Bewegung an der frischen Luft werden propagiert. Der Kraftsport und gymnastische Übungen spielen eine wichtige Rolle, wobei vor allem der muskulöse Männerkörper zu einer bedeutenden ideologischen Ikone der Arbeiterschaft wird.

Als Teil der Reformbewegung werden zur gleichen Zeit erste naturistische Zirkel gegründet. Nach eher obskuren Anfängen erfreuen sich die Nacktvereine im deutschsprachigen Raum der Zwischenkriegszeit eines regen Zuspruchs, und deren zahlreiche Publikationen mit einer Fülle an Nacktbildern tragen nicht unwesentlich zur Popularität der sportlichen Figur und der sonnengebräunten Haut bei.

Durch beide Bewegungskulturen wird nicht zuletzt das Bild der Frau nachhaltig verändert. Die radfahrende, schwimmende und turnende Frau bereitet dem medizinischen Mythos von der äußersten Fragilität des Frauenkörpers ein Ende. Zudem entledigt sie sich des Korsetts und der bodenlangen Röcke im Kampf um Bewegungsfreiheit. Die Entwicklung mündet schließlich in das schlanke Schönheitsideal, das die leicht bekleideten Revue- und Filmstars sowie die Tänzerinnen der zwanziger und dreißiger Jahre verkörpern.

Erste Ansätze unserer zeitgenössischen Körperlichkeit und Schönheit finden sich also bereits in der Industriegesellschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Die Ausbildung eines umfassenden profanen Körperkults, wo die jugendlich-straffe Haut zum herausragenden Prestigeobjekt wird, beruht hingegen auf einer demonstrativen Verausgabung, die nur im immensen Wohlstand der Spätmoderne möglich scheint.

Die selbstbestimmte Sexualität der Frau, die der Feminismus seit den sechziger Jahren erkämpft hat, spielt eine Schlüsselrolle in diesem Prozess zunehmender hedonistischer Promiskuität. Freiheiten, die bis in die fünfziger Jahre allein dem Mann vorbehalten waren, im weitesten Sinn also Sex im Zeichen der Lust, erscheinen nunmehr für beide Geschlechter legitim. Die sexuell wie finanziell emanzipierte Frau belebt nicht nur den Beziehungsmarkt ganz außerordentlich, sondern trägt auch dazu bei, dass die Ansprüche an den Mann steigen.

Gut sechzig Jahre vor dem Entstehen einer breiten Jugendkultur, vor der so genannten "sexuellen Befreiung" und dem Feminismus zeichnen sich erstmals jene Veränderungen ab, die an heutige Schönheitsstandards denken lassen. Für die breite Masse der Bevölkerung bietet die Arbeiterbewegung um 1900 eine bis dahin nicht gekannte Vielfalt an Turn- und Sportmöglichkeiten. Eine gesunde, hygienische Körperlichkeit und Bewegung an der frischen Luft werden propagiert. Der Kraftsport und gymnastische Übungen spielen eine wichtige Rolle, wobei vor allem der muskulöse Männerkörper zu einer bedeutenden ideologischen Ikone der Arbeiterschaft wird.

Als Teil der Reformbewegung werden zur gleichen Zeit erste naturistische Zirkel gegründet. Nach eher obskuren Anfängen erfreuen sich die Nacktvereine im deutschsprachigen Raum der Zwischenkriegszeit eines regen Zuspruchs, und deren zahlreiche Publikationen mit einer Fülle an Nacktbildern tragen nicht unwesentlich zur Popularität der sportlichen Figur und der sonnengebräunten Haut bei. Durch beide Bewegungskulturen wird nicht zuletzt das Bild der Frau nachhaltig verändert. Die radfahrende, schwimmende und turnende Frau bereitet dem medizinischen Mythos von der äußersten Fragilität des Frauenkörpers ein Ende. Zudem entledigt sie sich des Korsetts und der bodenlangen Röcke im Kampf um Bewegungsfreiheit. Die Entwicklung mündet schließlich in das schlanke Schönheitsideal, das die leicht bekleideten Revue- und Filmstars sowie die Tänzerinnen der zwanziger und dreißiger Jahre verkörpern.

Erste Ansätze unserer zeitgenössischen Körperlichkeit und Schönheit finden sich also bereits in der Industriegesellschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Die Ausbildung eines umfassenden profanen Körperkults, wo die jugendlich-straffe Haut zum herausragenden Prestigeobjekt wird, beruht hingegen auf einer demonstrativen Verausgabung, die nur im immensen Wohlstand der Spätmoderne möglich scheint.

Der Autor ist Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Kultursoziologie an der Universität Calgary und Lehrbeauftragter an der Universität Graz und an der WirtschaftsuniversitätWien.

Buchtipp:

METAMORPHOSEN DER SCHÖNHEIT Eine Kulturgeschichte moderner

Körperlichkeit

Von Otto Penz, Turia + Kant, Wien 2001, 254 Seiten, e 22,-

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