"Körper, mit Gewalt bekleidet"

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In ihren Fotos und Filmen nimmt die im Iran geborene Künstlerin Shirin Neshat die Menschen der muslimischen Welt in den Blick. Ein Gespräch über die Umwälzungen und die Lage der Frauen im Nahen und Mittleren Osten.

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In ihren Fotos und Filmen nimmt die im Iran geborene Künstlerin Shirin Neshat die Menschen der muslimischen Welt in den Blick. Ein Gespräch über die Umwälzungen und die Lage der Frauen im Nahen und Mittleren Osten.

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Wer Shirin Neshats Bilder gesehen hat, vergisst sie nicht so schnell. Die gebürtige Iranerin ging 1979, dem Jahr der Islamischen Revolution, zum Kunststudium in die USA und reiste erst 1990 wieder in den Iran. Aus dieser Reise entstand die Fotoserie "Women of Allah" (vgl. rechts) - für die Künstlerin der internationale Durchbruch. 2010 erhielt sie für ihren Film "Women without Men" bei den Filmfestspielen von Venedig den Silbernen Löwen. Shirin Neshat, die heute in New York lebt und arbeitet, war zuletzt Gast der 17. Globart-Academy in Krems, wo sie die Eröffnungsrede hielt.

Die Furche: Frau Neshat, der Nahe und Mittlere Osten ist im Umbruch, die Terrormiliz IS verbreitet Angst und Schrecken. Wie sehen Sie als Künstlerin und Exiliranerin diese Entwicklung?

Shirin Neshat: Der Konflikt zwischen Palästina und Israel hat schon seit langem bestanden; dann kam der Arabische Frühling, jetzt der Terror der ISIS. Zunächst war es ein Konflikt zwischen der arabischen Welt und dem Westen, aber jetzt ist es ein Konflikt unter den Muslimen selbst. Dass der Iran im Augenblick der stabilste Staat zu sein scheint, ist ironisch genug. Dieses extreme Verhalten, diese Gewalt ist oft das Ergebnis von Unterdrückung und Ungerechtigkeit; Zorn, Armut, fehlende Möglichkeiten, das alles hat zu einem Grad von Gewalt geführt, der rational nicht mehr zu fassen ist. Wobei die westlichen Staaten diese Entwicklung gefördert haben, indem sie Diktatoren unterstützten, die zu ihrem eigenen Nutzen die radikalen Gruppen förderten. Das ist alles sehr komplex -aber in den Medien dominieren Simplifikationen. Und am Ende erscheinen die Muslime als Barbaren.

Die Furche: Viele Muslime wehren sich gegen die Zerstörung ihrer Kultur durch die Islamisten.

Neshat: Das ist ein Mehrfrontenkrieg. In meiner Heimat kämpfen die Menschen gegen ihre eigene Regierung, gegen Unterdrückung, Korruption, Ungerechtigkeit, Diktatur. Und sie kämpfen gegen die Marginalisierung und Stereotypisierung von außen. Zudem hat jedes der Länder im Nahen und Mittleren Osten seine eigene, hochkomplexe Geschichte. Es ist tragisch, dass gerade jene den höchsten Preis zahlen, die benachteiligt, arm und weder politisch noch religiös organisiert sind. Sie sind keine Extremisten, sondern die Ziele der Extremisten. Wer es sich leisten kann, flieht nach Europa. Man muss auch die amerikanischen Interventionen kritisieren, die unnötigen Angriffe auf Afghanistan und den Irak, die Einmischung in Ägypten. Da gibt es eine enorme Scheinheiligkeit.

Die Furche: In Ihrem Film "Women Without Men" spielt Religion eine wichtige Rolle. Welches Verhältnis haben Sie zum Islam?

Neshat: Ich bin als Muslimin aufgewachsen, wobei man im Iran früher wählen konnte, ob man religiös sein wollte und in welchem Maß. Leider hat die Regierung das geändert, und es herrscht Zwang - das ist bedauerlich, Religion sollte eine persönliche Angelegenheit sein. Mich interessiert der Islam, weil er das Leben von Frauen definiert, und mich interessiert die islamische Mystik. Erst die Islamische Republik hat Staat und Religion zusammengeführt - doch Mystik bedeutet philosophische Selbstreflexion. Darum geht es auch in meinen Arbeiten. "Women Without Men" ist ein gutes Beispiel: Der Garten, der darin vorkommt, ist eine Metapher aus der mystischen Tradition, ein Paradies, ein Ort, um aus der Banalität des Lebens zu fliehen.

Die Furche: Ihre berühmte Fotoserie "Women of Allah" zeigt Frauen im schwarzen Tschador

Neshat: Diese Bilder sind stilisiert, nicht realistisch. Im Blick auf religiöse Frauen, die sich aus freien Stücken einer Ideologie unterworfen haben, ist ein Moment der Geschichte festgehalten - das Jahr 1979, die Islamische Revolution. Diese Bilder erzählen für mich von Frauen, die wegen ihrer Religiosität bereit sind zu sterben und zu töten - das sind aber nicht alle Frauen! Auf meinen späteren Bildern - etwa "Our House is on Fire" aus dem Jahr 2011 - gibt es keine Verschleierung, denn ich möchte darauf hinweisen, dass sich die Frauen verändert haben.

Die Furche: Diese Fotoserie haben Sie 2011 in Kairo gemacht

Neshat: Ich war während der Revolution in Ägypten. Im Gefolge des Arabischen Frühlings wurde die Situation brutal, und ich wollte den Schmerz und die Trauer auf den Gesichtern der Menschen und vor allem der älteren Leute festhalten. Als junger Mensch schaust du in die Zukunft, deswegen bist du tapfer; aber als älterer Mensch schaust du in die Vergangenheit und musst den Schmerz ertragen. Alle anderen Fotoserien habe ich mit Models gemacht; aber für die Serie "Our House is on Fire" habe ich reale Menschen fotografiert, extrem arme und leidende Leute, Männer und Frauen. Ich habe mit ihnen gesprochen, weinend ihre Tragödien geteilt, und ich habe sie für die Fotos bezahlt. Das war die bewegendste Erfahrung, die ich in meinem Leben als Künstlerin gemacht habe, nahezu unerträglich. Und ich habe gesehen, in welch privilegierter Situation ich lebe.

Die Furche: In Ihrer Fotoserie "Book of Kings" ging es um die Grüne Revolution nach den iranischen Präsidentschaftswahlen von 2009. Haben Sie die Bilder im Iran gemacht?

Neshat: Nein, ich reise nicht in den Iran. Das "Buch der Könige", das "Schahname", wurde von Firdausi im zehnten Jahrhundert geschrieben, ein episches Gedicht, das die persische Sprache gerettet hat. Es geht um Helden, die die persische Nation vor der Eroberung durch die Araber im siebten Jahrhundert retten wollen. Das sind gewalttätige Geschichten, aber die Verbindung dieser Geschichte mit der Gegenwart hat mich fasziniert. Es ist die Geschichte des Iran, der kämpft, um zu überleben. Es geht um Menschen mit Leidenschaft und Überzeugung, die willens sind, für die Nation zu sterben. In der Grünen Revolution waren es auch diese schönen jungen Männer und Frauen, die von Revolutionsgarden verhaftet, vergewaltigt, getötet wurden. Das haben wir auch im Arabischen Frühling gesehen. Ich habe die Illustrationen aus Firdausis Buch auf Männerkörper übertragen, auf Körper der Macht, die mit Gewalt bekleidet sind. Es geht um einen historischen Augenblick und um symbolische Bilder -wie in der Serie "Women of Allah".

Die Furche: Sie planen nun einen Film über die große ägyptische Sängerin und Filmschauspielerin Oum Kalsoum, die 1975 gestorben ist. Warum ist sie Ihnen wichtig?

Neshat: Sie fasziniert mich als eine muslimische Frau aus dem Mittleren Osten, die Künstlerin ist und Karriere macht. Oum Kalsoum hat die Menschen mit ihrer Emotionalität und Musik begeistert, und sie wurde durch ihre Nähe zu Gamal Abdel Nasser (von 1954 bis 1970 Staatschef Ägyptens; Anm.) und der sozialistischen Revolution, aber auch durch die Nähe zu König Farouk ein nationales Symbol für Ägypten. Sie hat sich die ganze Zeit mit mächtigen Männern umgeben. Frauen im Mittleren Osten, die Karriere machen, stehen zwar einerseits auf dem Podest, aber in Wirklichkeit sind sie einsam.

Die Furche: Wie erleben Sie die Situation von Frauen im Iran heute?

Neshat: Heute sind dort 90 Prozent der Frauen gut ausgebildet und arbeiten; in meiner Generation waren das vielleicht noch 50 Prozent oder weniger. Und in der Generation meiner Mutter waren es null. Die Frauen heute arbeiten und haben Kinder, das ist beeindruckend. In meinem Film wird es aber darum gehen, dass Frauen vor allem schön und begehrenswert sein müssen - sie sind einem Code unterworfen, der für Männer nicht existiert. Frauen weltweit werden diesen Film sofort verstehen.

Das Gespräch führte Ursula Baatz

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