KolossaleAuferstehung

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Zur Wiedereröffnung des Technischen Museums in Wien.

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Zur Wiedereröffnung des Technischen Museums in Wien.

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Das Technische Museum wurde endlich aus seinem siebenjährigen Dornröschenschlaf erweckt. Für quengelige Wiener Kinder gibt es damit wieder ein Regenwetterprogramm, das seinen Zauber mit einem Besuch noch lange nicht ausgeschöpft hat.

"Es soll ein modernes, zukunftsweisendes Museum sein", sagte Kulturministerin Elisabeth Gehrer und orderte vor versammelter Presse virtuell probehalber einen Mercedes-Silberpfeil aus dem Museumsshop. Zukunftsinteressierte Menschenmassen wälzen sich zwei Tage später die Rampe zum Glaskubus hinunter, der den neuen Eingang des alten Museumsriesen bildet. Freier Eintritt herrscht am Eröffnungswochende und lockt trotz herrlichem Badewetter Hunderte Wiener Familien in die Wunderwelt der elterlichen Kindheit.

Heiß ist es unter dem Glasdach, blickt man hinauf, ragen die kolossalen korinthischen Säulen des alten, 1909 erstmals eröffneten Hauses in den Himmel, Göttinnen lächeln gelassen von der Jugendstilfassade. Erschöpfte Omas sitzen auf Parkbänken im Eingangsfoyer, der Informationstisch wird gestürmt, der Museumsshop auch. Die beiden Flügel rechts und links locken nur wenige, dabei könnten hier Kinder wunderbar experimentieren und spielerisch physikalisches Grundwissen erlernen. Alles läßt sich hier nicht einmal an mehreren Wochenenden erkunden, die Stiege und das Licht aus der Haupthalle locken nach oben.

Der Aufstieg lohnt: Unter der um 13 Meter angehobenen Glaskuppel schwebt majestätisch das berühmte "Sturmflügelmodell" von Otto Lilienthal. Auf ebener Erde besticht das Modell des Mikroprozessors eines Pentium Pro. Das Herzstück jedes Computers ist mit Glasröhren dargestellt, blaue Flüssigkeit fließt durch. Kinder haben Spaß daran, binäre Reihen aus 0 und 1 zu addieren. Das können sie mit elektronischen Knöpfen. Viel sinnlicher sind aber nach wie vor die wunderbaren alten Verbunddampfmaschinen zur Stromerzeugung aus dem Jahr 1897. Hier gibt es Schrauben, Kolben, Zylinder, Rohre und Räder zu bewundern. Wie die Maschine wirklich funktioniert, kann der davorstehende Papa seinem Sohn nicht schlüssig erklären. Es ist auch nicht nötig, das Auge des Kleinen entdeckt schon die nächste Attraktion: ein alter, verrosteter Hochofen aus dem Jahr 1952, man kann sogar Treppen hinaufsteigen, um dem Koloß näherzukommen.

22.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche hat das Technische Museum, zusätzlich weitere 10.000, in denen Werkstätten, Depoträume, Büros und ähnliches untergebracht sind. Zwei neu eingezogene Galerien ruhen auf Betonstützen, sternförmig kragen Tragelemente aus, die eine eigenartige Deckenstruktur bilden. Steigt man ins oberste Geschoß, kann man einen Satelliten und Lilienthals Modell von einem kleinen Balkönchen aus auf die technische Montur blicken, außerdem die alten Dampfmaschinen und das Besuchertreiben in der lichtdurchfluteten Halle von oben beobachten. Im zweiten Obergeschoß findet sich auch die Eröffnungsausstellung "Verkehr". Von Kutschen bis zum Hochrad über Flugzeuge, die von der Decke hängen, faszinieren Vehikel aller Art.

Kindheitserinnerungen weckt die Bergwerksführung: Dieses Stück Museumsgeschichte hat einen als Volksschüler schon hingerissen, auffallend ist, daß vor allem Eltern geduldig ausharren, um in die niederen Stollen zu dürfen. Nach dem Dunkel der Gänge, der stickigen Luft und dem abschließenden "Glück auf" des Führers ist klar: Das Herzstück des Technischen Museums ist auch nach dem Dornröschenschlaf noch so, wie es immer war.

Im Geschoß darüber herrscht eine ganz andere Atmosphäre: Hier werden Musikinstrumente erklärt, in eigenen Hörsesseln lassen sich ungestört vom Lärm rundherum Orgel, Klavier oder Bläserkonzerte hören. Die Werkstatt eines Orgelbauers wurde da aufgebaut. Auch Skurriles findet sich zwischen Hammerklavieren, Spinetten, der Orgel aus der Hofburgkapelle und anderen Flügelklassikern: Ein altes Exponat weist noch kein Orgelgehäuse auf, die Schallbecher stecken wie kleine Glöckchen auf den Pfeifen: "Apfelregal" heißt das.

"Über 3.500 Objekte mußten wir präsentieren," erklärt Architekt Walter Hans Michl. "740 Pläne haben wir gezeichnet," ergänzt Partner Wolfgang Zehetner. Wieviele Sessel, Vitrinen, Stellwände und Medienmöbel das Architektentrio mit Walter Zschokke genau entworfen hat, kann er nicht sagen. Mit nicht ganz 70 Millionen Schilling Auftragsbudget haben die drei jedenfalls als günstigstes Büro das Rennen gemacht. Für den Kaffeebereich gab man einen alten Loos-Sessel wieder in Produktion, bei den interaktiven Stehpulten mußten die Architekten selbst entwickeln, da es keine qualitativ hochwertigen Möbel am Markt gibt. Leichte Sessel des Architekten Alvar Aalto sind im Haus verteilt. Wer sie braucht, sollte auf die Idee kommen, sie dorthin mitzunehmen, wo er sitzen will. Ob die Wiener so mutig sind, flexibel konzipierte Museumsmöblage auch zu nutzen, wird sich weisen.

750 Millionen Schilling sind seit der Schließung des Museums 1992 in die Sanierung geflossen, immer noch ist der Ausstellungsbereich nicht zur Gänze hergerichtet. Das hat auch Vorteile: Das Museum präsentiert sich nicht vollgerammelt, im Inneren verteilen sich die Menschenmassen, die Fülle der Exponate ist schon jetzt eindrucksvoll. 150 Millionen Schilling rechnet man noch für die Vollendung der "Phase 2", die komplette Schausammlung wird im Jahr 2000 eröffnet werden. Das Technische Museum soll aber nicht nur dokumentieren, sondern auch außeruniversitär forschen. Und zum Zeitpunkt seiner vollendeten Einrichtung im Jahr 2000 dürfte das Museum annähernd eine Milliarde verschlungen haben. Ein echtes Millenniumsprojekt.

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