Komplexes, widerständiges Denken

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Als hätte ein Kurator die Gedichte wie Skizzen und Bilder in drei Ausstellungsräumen angeordnet, geht man durch die Gewölbe einer Galerie, liest in vorangestellten Prosa-Tableaus über die Ahnung vom Jenseits der Sprache und lässt sich mitnehmen von Hartingers unorthodoxen Metaphern und Sprachbildern: "Sprich leiser. Hörst du nicht die Meise interessant vom Kohlenstoff parlieren?"

Hartinger ist ein improvisierender Spieler auf dem Vorstellungsklavier, er probiert und lauscht, gestaltet erzählerische Miniaturen und setzt energievolle Akkorde, erfreut sich an melodischen Phrasierungen. Mal gestaltet er das Gedicht in Strophen, mal im schwingenden Fahnensatz freier Assoziationen, mal überlässt er sich einer "Sprache des Zufalls", die er mit dem "Vokabelquirl" bunt durchmischt. Freie Rhythmen fächern sich auf in bildhaften Strophen, die surreal gebrochen werden, über dem Bordun-Ton dunkler Chiffren blinken Sehnsuchtsmomente und thematisieren das Ringen um Nähe und Zugehörigkeit, sie bannen die "Dinge aus Angst" in ihrer Form und Poetisierung.

Die einzelnen Gedichte werden auf verschiedenen Ebenen eingefasst: in kleinerer Schrifttype finden sich nachgestellte Kommentare und eingerückte Paraphrasen des eben Gesagten, sie münden in poetische Resümees und Konklusionen. Widmungen, Motti und Zitate belegen die immense poetische Kenntnis und Vernetzung des Autors, zeigen ihn als vifen Leser. Das Gedicht ist ihm dabei Ort der Reflexion, Selbstsuche und einer Manifestation, in der immer wieder die unlösbare Frage von Verlust und Vergeblichkeit auftaucht: "Mein einziges Thema ist das, was nicht mehr ist."

Neben seinen Prosaarbeiten hat Hartinger sieben Bände Lyrik vorgelegt, die das komplexe, widerständige Denken dieses rebellischen Autors und Psychologen belegen. Auch hier beschwört er die Notwendigkeit zur Veränderung, zunehmend wird aber in Gleichmut und Ironie das eigene Scheitern konstatiert. Momente der Relativierung und der Befreiung stellen sich ein. Das Gedicht "Die Lilie im Kommen" spricht von Pracht und Garten, von Duft und blauen Träumen, und dem Bekenntnis "Zerbrochen bin ich ganz!" findet sich der Dreizeiler nachgereicht: "Was leichter ist was /schöner ist ganz ohne /Mauer um mich".

Dinge aus Angst

Gedichte von Ingram Hartinger

Wieser Verlag 2015

182 S., geb., € 19,50

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