Komponieren im Konflikt

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Israelische und palästinensische Komponisten beim Festival „Klangspuren“ in Schwaz.

Neue Musik, die vor der Welt ihre Augen verschließt, habe auf Dauer auch nichts in dieser Welt verloren, und für ein Festival Neuer Musik gelte das Gleiche, schreibt der Neue Musik-Spezialist und Klangspuren-Dramaturg Reinhard Schulz im Vorwort seines vorzüglichen Festival-Almanachs. Konzerte im Herzen des noch bis 21. September laufenden Schwazer Festivals „Klangspuren“ öffneten die Sinne dafür, wie bestürzend im Krisengebiet die Kunst mit der gesellschaftlichen Realität verbunden ist. Der gewaltgeschwängerte Konflikt zwischen Israel und Palästinensern, die Spannung zwischen Islam, Judentum und auch Christentum ist in der Kunst nicht auszuschalten, auch wenn es allen im Grunde um ein friedliches Miteinander geht.

Die jüdischen Komponisten Chaya Czernowin, Sivan Cohen Elias, Ruben Seroussi, Yuval Shaked und Dan Yuhas haben durch ihre Lehrer und Studienreisen Kontakt zu den jungen europäischen Musikströmungen und begeben sich mitunter auch in den Elfenbeinturm, aber vorschnell darf man innerhalb des nonverbalen Mediums nicht urteilen. So schreibt Shaked einleitend zur Uraufführung seines exzessiven E-Gitarren-Solos: „1985 kehrte ich nach Israel zurück, wo ich um meine von vielfacher Lehr-, Redaktions- sowie gelegentlich ausbrechender Schreibtätigkeit befruchtete und verstörte kompositorische Arbeit in der frustrierenden politischen und entmutigenden gesellschaftlichen Situation und gegen Interessen- sowie Sinnlosigkeit kämpfe, meine wahrscheinlich selbst auferlegte Isolation erkenne, ein Überbleibsel Trost zu retten hoffe und mein Leben sinnvoll zu gestalten trachte.“

Samir Odeh-Tamimi, 1970 in einem arabischen Dorf bei Tel Aviv geboren, lässt mit erschütternder Direktheit die Schreie seines verzweifelten Volkes in seine Musik fließen, und doch ist seine Klangwelt auch beeindruckend kontrolliert. In uns der Klangschmerz des Erwachens.

Ebenso die Aktion des in Schweden lebenden 57-jährigen Israelis Dror Feiler. Auch er fordert Wahrheit statt Schönheit. Seine Musik vermittelt in ihrer energetischen Explosion den Schmerz, der sie erfüllt, als körperliche Attacke. Die Härte der Live-Ereignisse aus Saxophonen und Elektronik (via Laptop) wider die Unterdrückung frisst alle innewohnende klangliche Differenzierung, im ungeheuren Lärm vernimmt man nur noch Umschichtung und punktuell Heraustretendes.

„Das Feuer des Kampfes“, von Feiler bei den Klangspuren zur Uraufführung gebracht, ist „dem palästinensischen Volkskrieg gegen die israelische Okkupation“ gewidmet. Im Wirbelsturm der Soundhölle führen Videos durch das Feuer, Schüsse peitschen, und wenn das Auge der akustischen Nötigung erreicht ist, erscheinen auf der Leinwand ergreifend traurige, ergreifend poetische Texte. Fünfunddreißig Minuten, deren radikaler politischer Anspruch ästhetische Diskussionen außer Kraft setzt.

Musik als Hoffnungsträger wurde schließlich in einem Dokumentarfilm über das Projekt des Music Fund vermittelt. Für die Realisierung dieser Hilfe durch musikalische Basisarbeit zu beiden Seiten der hohen Mauer werden in Europa Musikinstrumente gesammelt und Lehrer zur Starthilfe motiviert.

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