Konsequenz eines großen Irrtums

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Auch der Kosovo-Krieg hat keine offene Debatte über den richtigen Zeitpunkt militärischer Operationen ausgelöst.

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Auch der Kosovo-Krieg hat keine offene Debatte über den richtigen Zeitpunkt militärischer Operationen ausgelöst.

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Mit der wiederholten Androhung von militärischen Schlägen hatte sich die NATO gleichsam selbst eine Falle gestellt, denn ihr blieb einfach nichts anderes mehr übrig, als diese Androhung zu verwirklichen, wollte sie ihre Glaubwürdikeit als starkes Militärbündnis nicht aufs Spiel setzen.

Dieser von der EU unterstützte Krieg der NATO gegen Jugoslawien wurde mit einer Halbherzigkeit geführt, die gegen alle Spielregeln militärischer Planung verstieß. Der amerikanische Analytiker Michael Mandelbaum hat in einem Aufsatz in den Foreign Affairs ausgeführt, daß zwar jeder Krieg unerwartete Konsequenzen hat, aber im Fall des Kosovo-Krieges seien praktisch alle größeren politischen Effekte ungeplant, unerwartet und unerwünscht gewesen. Er sei die Konsequenz eines großen Irrtums in der politischen Beurteilung gewesen. Es war tatsächlich so, daß die US-Führung der Meinung war, daß wenn schon nicht die Androhung von Luftschlägen hilfreich war, Milosevic nach einigen Schlägen klein beigeben würde; manche meinten sogar, er warte nur darauf um sich - ohne innenpolitischen Gesichtsverlust - fremden Druck beugen zu können.

Als Grund für diesen Krieg war die humanitäre Situation der Kosovo-Albaner angegeben worden. Kurzfristig hat er den Kosovo-Albanern nicht geholfen sondern die Situation dramatisch verschärft. Fazit des Krieges war, daß ein ungeschlagener Gegner ebenso übrig blieb wie ein ungelöstes Problem. Denn die serbischen Streitkräfte waren zwar geschwächt, ihre strategischen Fähigkeiten aber nicht entscheidend beeinträchtigt worden. Und das Kosovo-Problem blieb ungelöst, weil es absolut unvorstellbar ist, daß nach all den Ereignissen ein multiethnischer Staat Kosovo funktionieren kann.

Darin liegt überhaupt das zentrale Problem des Westens in seiner Politik gegenüber Jugoslawien. Früher war man bestrebt sich aus Problemen des Balkan herauszuhalten; nur ja nicht in Balkankonflikte verwickelt werden, man konnte sie ohnedies nicht lösen. Die Medienwelt hat diese Sicht freilich verändert; die Berichterstattung über die menschlichen Katastrophen haben humanitäre Hilfspolitik gleichsam erzwungen. Konzepte zur Lösung der Probleme im Balkan und in Jugoslawien gibt es noch immer keine. So wäre es höchst an der Zeit, daß der Westen Konzepte entwirft, um allmählich doch zu einer Stabilisierung dieses Raumes zu kommen. Um die Eigenständigkeit der Kosovo-Albaner wird man nicht herum kommen. Die Frage ist, will man ihnen einen eigenen Staat geben oder soll dieser mit Albanien verbunden sein.

Ob durch den Kosovo-Krieg eine neue Periode eingeleitet wurde, in der die staatliche Souveränität als überholt gilt und humanitäre Aspekte im Vordergrund stehen, bleibt abzuwarten. Der Kosovo-Krieg war wahrscheinlich nicht der Testfall für das westliche Vorgehen im Falle interner Auseinandersetzungen wie Bürgerkriege und Menschenrechtsverletzungen oder zur Verteidigung westlicher Werte.

Das militärische Vorgehen hat sich prinzipiell als ungeeignet erwiesen, das humanitäre Anliegen wurde verfehlt und das politische Ziel der Schwächung Milosevic nicht erreicht. Durch diesen Krieg hat sich die labile Lage in der Region erheblich verschärft ohne das die EU heute realistische Politik zur Herstellung von Stabilität betreibt. Der Krieg hat auch gezeigt, wie fragil westliche Kooperation für humanitäre Zwecke sein kann. Manche Beobachter meinen, daß nach den ersten toten Soldaten diese ganze Kriegeskoalition zusammengebrochen wäre. Es wäre deshalb geradezu zwingend notwenig, sich zu überlegen wann man militärische Interventionen und Gewalt einsetzt, was man damit erreichen will und welches Ausmaß an eigenen Schäden man bereit ist einzugehen, wenn man humanitäre Ziele verfolgt. All das fehlt, und auch der Kosovo-Krieg hat es nicht zustande gebracht, eine offene und intensive Debatte in Europa über diese Fragen auszulösen.

Der Autor ist Beauftragter für Strategische Studien im Bundesministerium für Landesverteidigung.

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