An einer als "Öffentliche Konsultation zur Sommerzeitregelung" bezeichneten EU-weiten Befragung beteiligten sich zwischen Anfang Juli und Mitte August dieses Jahres nicht weniger als 4,6 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger - aber auch nicht mehr als 0,9 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung. Noch vor endgültiger Auswertung der Ergebnisse scheint festzustehen, dass eine klare Mehrheit für die Abschaffung der zweimal jährlich stattfindenden Zeitumstellung plädiert, die in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts aus Gründen der Energieersparnis eingeführt wurde.
Während deren Gegner offensichtlich erfolgreich mobilisiert haben, beteiligten sich die meisten Befürworter schon deshalb nicht an der Befragung, weil diese gemäß dem offiziellen EU-Dokument eben ausdrücklich nicht als Abstimmung angelegt war. Auch ist das Ergebnis nur sehr eingeschränkt repräsentativ, stammen doch zwei Drittel aller Stimmen allein aus Deutschland.
Bis zum Beweis des Gegenteils durch eine vollwertige Abstimmung ließe sich daher ebenso gut annehmen, dass die Befürworter der bisherigen Regelung in der Mehrheit wären. Dennoch nützte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Stimmungslage und plädierte spontan für die Einführung der permanenten Sommerzeit. Auch Mitglieder der österreichischen Bundesregierung bekundeten bereits Sympathien dafür.
Obwohl Befürworter der bisherigen Zeit-Umstellerei - ich mochte die längeren Abende und die helleren Morgenstunden -werde ich wohl auch mit einer künftigen Dauer-Sommerzeit gut leben können. Bloß das regelmäßig wiederkehrende Rätselraten, ob nun die Uhr eine Stunde vor oder zurück zu stellen sei, wird mir abgehen -und die entspannten Streitgespräche darüber, welchen Sinn das Ganze eigentlich haben soll. Keine anderen Sorgen sollen wir haben!
Schicksalswahlen für die eu
Wirklich besorgt macht mich hingegen, dass uns bald schon eine wesentlich gewichtigere "Konsultation" ins Haus steht, bei der es nicht mehr nur um harmlose Stundenverschiebungen gehen wird, sondern um die viel grundlegendere Frage, ob wir in der europapolitischen Neuzeit bleiben oder die Uhren wieder auf voreuropäische, nationalistische Zeitmaße zurückgestellt werden sollen. Die Wahl zum Europäischen Parlament im Mai des kommenden Jahres wird über den Ausgang eben dieser Frage entscheiden.
Das bisherige europäische Drehbuch sah einen solchen Rückfall schlicht nicht vor. Die aktuellen Geschehnisse machen jedoch klar, dass er nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Deshalb müssen diese Wahlen als Chance genützt werden, die europapolitischen Uhren wieder zeitgemäß zu justieren, ohne die Zeit zurückzudrehen. Nicht nur, aber zuvorderst in der Grundsatzfrage der gemeinsamen Außengrenzen und des richtigen, menschenwürdigen und zugleich "sozialverträglichen" Umgangs mit Migranten.
Das gemeinsame Europa ist noch nicht fertig -dahin sind es noch ein paar Jahrzehnte. Aber das übergeordnete Ziel dieser Einigung darf nicht verloren gehen.
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