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Rudolf Mitlöhner über das Amerikanische am "europäischen Traum" und Europas Skepsis. "Europa. Träume und Traumata": Unter diesem Leitthema stand der diesjährige, vom Land Steiermark und der Diözese Graz-Seckau zum zweiten Mal veranstaltete Pfingst-Dialog "Geist & Gegenwart". Im südsteirischen Seggauberg stellten Politiker, Wirtschaftstreibende, Kulturschaffende und andere ihre Sicht auf Europa zur Diskussion. Das vorliegende, in Kooperation mit dem Land Steiermark entstandene Dossier will etwas vom European Spirit dieser Tage vermitteln. Redaktion: Rudolf Mitlöhner

Bisweilen kann es hilfreich sein, Dinge auf den Kopf zu stellen, um Klarheit zu gewinnen: Losgelöst von den Mühen der Ebene, lassen sich dann frei und ohne Rücksicht auf Sachzwänge Perspektiven entwickeln. Das Marx'sche "vom Kopf auf die Füße stellen", also die Erdung, die Umsetzung von in luftigen Geisteshöhen gesponnenen Ideen in die konkrete gegenwärtige Wirklichkeit, bleibt freilich die Bewährungsprobe.

Zu solchen Kopfständen des Geistes will auch der vor zwei Jahren vom Land Steiermark und der Diözese Graz-Seckau ins Leben gerufene Pfingst-Dialog "Geist & Gegenwart" ermuntern. Sein Ort: das südsteirische Schloss Seggau bei Leibnitz. Sein Gegenstand: Europa. Stand 2005 nicht weniger als "Die Entdeckung Europas" auf dem Programm, wurde heuer schon im Titel die Ambivalenz dieses in jeder Hinsicht so schwer zu fassenden Kontinents thematisiert: seine "Träume und Traumata".

Den "europäischen Traum" im Singular erzählt uns nun schon seit etlichen Jahren anschaulich Jeremy Rifkin - bezeichnenderweise ein US-Amerikaner, an dessen Lippen verunsicherte, müde, US-kritische bis-feindliche Europäer hängen. Mit "sehr breitem Pinsel" (EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner) malte er auch in Seggauberg einmal mehr sein Idealbild von Europa an die Wand. Dieses hat ohne Zweifel viel für sich: Die ihm zugrundeliegende Idee einer sozial und ökologisch ausgerichteten Marktwirtschaft ist tatsächlich konkurrenzlos. Im Kern geht es um die rechte Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Die hat man freilich nie, sie ist immer aufs Neue auszutarieren. Aber das als Aufgabe überhaupt einmal zu definieren, sich dieser Mühe immer wieder zu unterziehen, macht wohl das Substrat des "europäischen Lebensmodells" aus.

Ob sich das dermaßen in Schwarz-Weiß, in klarer Frontstellung zu den USA, darstellen lässt, wie Rifkin das tut - oder ob es nicht doch bei allen Differenzen auch so etwas wie eine gemeinsame westliche Agenda gibt, sei dahingestellt. In diesem Dualismus wie auch in seinem ungebrochenen, ans Missionarische grenzenden Optimismus ist Rifkin, der Propagandist des "europäischen Traums", jedenfalls sehr amerikanisch.

Auch der Grazer Soziologe Manfred Prisching sprach über den "europäischen Traum" (ein Beitrag zum Thema von ihm wie auch von Rifkin und etlichen anderen Referenten der Tagung ist im Begleitband Europa - was nun? nachzulesen; siehe Buchtipp unten). Der Europäer Prisching weiß freilich um die Tatsache, dass politisch-gesellschaftliche Träume sich immer wieder zu Albträumen ausgewachsen haben und als Traumata geschichtsmächtig geblieben sind.

Ebendieses Wissen, ihre historische Erfahrung hat die Europäer skeptisch gemacht. Man dürfe Europa nicht unterschätzen, so Prisching; viele träumen von dem, was Europa erreicht hat. Aber die Europäer selbst glaubten nicht so recht an einen "europäischen Traum". Auch in der Selbstwahrnehmung liegt eine wesentliche Differenz zu den USA: Niemand zweifle daran, dass es den "american dream" gebe, wie umstritten oder diskreditiert der auch immer scheinen mag.

In seiner Verhaltenheit, seinem distanziert-abgeklärten Blick auf Europa (und Amerika) erwies sich Prisching gewissermaßen als exemplarisches Pendant zu Rifkin. Letzterer hat seine therapeutische Funktion - eine Art Aspirin gegen Euro-Kopfweh. Aber ausformulieren und realisieren müssen wir, Prisching & Co., unseren "europäischen Traum" schon selbst. Wenn wir irgendwann einmal Rifkin nicht mehr brauchen, haben wir gewonnen.

Buchtipp:

Europa - was nun?

Träume und Traumata

Hg. von Norbert Schreiber & Lojze Wieser

Wieser Verlag, Klagenfurt 2007, 200 S., brosch., € 15,-

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