Kopftuch: mit und ohne

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Keine Sorge, ich will nicht über das Kopftuch als Anschlag auf die abendländische Kultur sprechen, sondern nur von ein paar Dingen erzählen, die mir kürzlich im erzkatholischen Litauen aufgefallen sind.

Der erste Spaziergang durch Vilnius führte mich zu einem Markt, an dem Frauen standen, die nur anzubieten hatten, was sie in ihrer Handtasche mit sich führten: Kartoffel, Kräuter, Pilze. Die Bäuerinnen, die sich bei jedem Glockenschlag aus einer der unzähligen Kirchen bekreuzigten, waren zwischen 20 und 80 und trugen alle Kopftücher, bunte die jungen, helle die mittleren, dunkle die alten. Ein paar Schritte weiter, in der wunderbaren Anlage eines orthodoxen Klosters, wieselten attraktive 30-Jährige herum, von denen jede ihr Kopftuch ein wenig anders umgebunden zu haben schien. Und vor der nahen Synagoge standen ein paar Familien, die Männer mit Hüten und Bärten, die Frauen mit einem künstlichen Haarschopf unter einem Tuch.

Wo immer ich im Lande unterwegs war, traf ich auf Frauen, die ein Kopftuch trugen und damit offenbar gar keiner besonderen Gesinnung Ausdruck verleihen wollten. Nur einmal gerieten wir in ein Dorf, das den unaussprechlichen Namen "Keturiasdesimt Totoriu" trug. Auf der Dorfstraße standen vier Frauen beieinander, die uns neugierig fragten, wer wir seien und was uns hierher verschlagen habe. Nach einigen Minuten angeregten Geplauders stellte sich heraus, dass das Holzhaus, vor dem wir standen, die Moschee der Tataren war, von denen eine kleine Minderheit in Litauen lebt, und dass die vier wie alle Tataren Muslime waren. Mir war gleich aufgefallen, dass mit ihnen irgend etwas anders war, und im Auto kam ich auch drauf, was es war: Keine von ihnen trug ein Kopftuch, und sie hatten die Fremden, was einem sonst in Litauen kaum widerfährt, ohne Scheu angesprochen.

Der Autor ist Schriftsteller und Literaturkritiker in Salzburg.

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