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Die Aktualität von Kants Denkabenteuer angesichts heutiger Krisen.

Die Furche: Heinrich Heine schreibt: Die Lebensgeschichte Immanuel Kants ist schwer zu beschreiben. Denn er hatte weder Leben noch Geschichte. Sie haben nun eine Biografie über Kant geschrieben. Ist dieses Urteil berechtigt?

Manfred Geier: Was ist ein interessantes Leben? Das ist ja ein Vorurteil. Was kann überhaupt am Leben interessant sein? Es gibt natürlich Biografien, die sagen, ein Leben ist nur dann interessant, wenn es durch extreme Krisen hindurchgeht, wenn dramatische Ereignisse stattfinden. Das ist normalerweise das, was man von Biografien erfahren will. Das findet man bei Kant kaum. Das heißt aber nicht, dass sein Leben deswegen uninteressant ist. Das Spannende an Kant verlagert sich weg von diesen großen lebenspraktischen Dramen hin zu Abenteuern, die dieser Denker erlebt. Und wenn man dann fragt, wie findet dieses Denkabenteuer statt, wie entwickelt sich in Kants Kopf eine ganze Kosmologie, mit welchen philosophischen Problemen setzt er sich auseinander, die auch einen Zusammenhang mit geschichtlichen Situationen aufweisen, in denen er sich konkret befindet, dann gewinnt dieses Leben an Faszination und dann lohnt es auch, eine Biografie eines sehr abstrakten Denkers zu schreiben, der aber nie so abstrakt ist, wie ihn das allgemeine Vorurteil ihn einschätzt.

Die Furche: Kant galt in den letzten Jahrzehnten als verstaubt, als Vordenker einer rigiden Moral, ein wie Sie in Ihrem Buch schreiben, "Fanatiker der leeren, reinen Formen". Er war der Gegenspieler eines dionysischen Denkens. Wie erklären Sie sich diese Wandlung in der Kantrezeption?

Geier: Das liegt daran, dass man sich heute wieder in anderen Problemsituationen befindet als noch vor 20 Jahren. Vor 20 Jahren konnte man das wilde Denken zelebrieren und Kant seinen Rigorismus und seine begriffliche Präzision vorwerfen. Heute befinden wir uns in einer ganz anderen Situation; wir müssen wieder verantwortlicher denken. Die Spielereien eines freien Geistes wirken heute verantwortungslos. Vor diesem Hintergrund beginnt Kant auch wieder an Bedeutung zu gewinnen; er wirkt fast wie ein philosophischer Wegweiser, der uns mögliche Auswege aus den Situationen zeigt, in denen wir uns heute befinden.

Die Furche: Könnten Sie dafür ein Beispiel anführen?

Geier: In seinem Buch "Die Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft" vertieft Kant die Kritik an dem Absolutheitsanspruch der Religion, die er in der "Kritik der reinen Vernunft" schon angedeutet hatte. Er möchte am Beispiel der Bibel nachprüfen, was im Text auch durch bloße Vernunft erkannt werden kann. Damit nimmt er jedem Fundamentalismus den Wind aus den Segeln, da ja niemand sagen kann, er verfüge über die allgemein gültige Interpretation eines "heiligen" Textes. Und damit zeigt Kant, wie man, ohne Religion allgemein verwerfen zu müssen, den religiösen Fundamentalisten ihren Absolutheitsanspruch nimmt. Kant hat uns gezeigt, argumentativ wieder stärker zu werden.

Die Furche: Kant war sich jedoch bewusst, dass diese argumentative Strategie gewaltbereite Fundamentalisten nicht erreicht.

Geier: Kant ist ein viel zu genauer Beobachter der menschlichen Schwächen, um zu sagen, alles geht geradlinig seinen Weg. Wenn ich sage, er steht da wie eine Wegweiser, heißt das ja nicht, dass die Menschen diesem Weg folgen soll. Der Mensch geht nicht den geraden Weg, er macht immer Abweichungen, die auch ihm bekannt waren. Kant würde sagen, die Menschen werden immer unvernünftig bleiben und keine Erziehungsmaßnahme wird sie zu vernünftigen, guten Menschen machen.

Die Furche: Warum vertritt Kant dann eine universalistische Moral, einen guten Willen, von dem er selbst sagt, ähnlich wie von Gott, dass dies nur ein Ideal sei?

Geier: Wenn es auch nur ein Ideal ist, gibt es doch eine allgemeine Richtlinie vor. Natürlich ist ein Mensch, der aufgeklärt ist, der etwas weiß, der verantwortlich ist, der bestimmte Verpflichtungen eingeht, der bestimmte Maximen vertritt - wie Aufrichtigkeit, wie Wahrhaftigkeit, oder auch ein bestimmtes Mitgefühl für Menschen hat, wenn sie leiden, meiner Meinung auf einem bessern Weg als wenn ich sage: Lügen wir doch alle, schwindeln wir doch alle und bedrohen unsere Mitmenschen, wenn sie uns im Wege stehen. Kant qualifiziert in diesem Sinne Handlungen als besser und schlechter und entwickelt dafür auch einen Maßstab, von dem er aber nicht glaubt, das er lebenspraktisch wirklich zu realisieren ist Er kennt ja die Schwächen der Menschen.

Das Gespräch führte Nikolaus Halmer.

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