Kosten-Nutzen-Rechnung im Garten Eden

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Der tschechische Starökonom Tomas Sedlacek interpretiert die großen Mythen der Menschheit wirtschaftlich - und ortet in der Bibel größeren Realismus als in der Wirtschaftswissenschaft. Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Als Tomas Sedlacek seine Arbeit über die Ökonomie von Gut und Böse an seiner Universität einreichte, wurde sie abgelehnt. Nun hat er einen Bestseller daraus gemacht. Ein Gespräch über Mythen und Moral als Lenker der Ökonomie.

Die Furche: Ich möchte das Gespräch gerne mit einem Vorurteil beginnen. Es heißt, die Tschechen seien geborene Agnostiker und beinharte Realisten.

Tomas Sedlacek: Das stimmt schon.

Die Furche: Und nun kommen Sie daher und schreiben ein Buch über Mythen, Religion und Glauben in der Ökonomie. Wie konnten Sie es wagen?

Sedlacek: Ja, das hab ich mir eigentlich auch gedacht und ich war total überrascht, dass das Buch ein solcher Erfolg geworden ist. Ich habe es eigentlich nur für ein paar verrückte Ökonomen geschrieben. Ich glaube, die Krise hat viel zum Erfolg des Buches beigetragen. Um auf die Tschechen zurück zu kommen: Sie sind nur skeptisch gegenüber Institutionen. Einer unserer bekanntesten Geistlichen, Tom´aˇs Halik, hat einmal gesagt, Tschechen seien nicht Agnostiker sondern "Somethingists“. Sie glauben daran, dass es irgendetwas Höheres gibt, auch wenn sie nicht darüber sprechen. Ich glaube auch, es war überraschend, dass jemand die Bibel mit der Ökonomie verknüpft.

Die Furche: Sie tun das etwa, indem Sie den Traum des Pharao, den Josef dann als Vision von den sieben fetten und den sieben mageren Jahren deutet, als erste Idee eines Wirtschaftszyklus beschreiben. Und als Ansatz keynesianischen Denkens, in guten Zeiten zu sparen, um besser durch die schechten Zeiten zu kommen.

Sedlacek: Das Beste daran ist aber, dass damals alles gut gegangen ist, weil der Pharao die Konsequenzen aus dem Traum und seiner Deutung gezogen hat. Deshalb wurden Getreidespeicher angelegt und gespart. Er machte nichts Anderes, als die Wellenbewegung des Zyklus zu abzuflachen. Weniger Wachstum in Wachstumsperioden, weniger Schrumpfung in Krisen. Das war wesentlich besser, als das was die Ökonomie in den vergangen Jahren getan hat.

Die Furche: Modernes Risikomanagement hätte dem Pharao ein Derivatepaket verkauft und eine Berechnung, dass der Schadensfall niemals eintreten würde.

Sedlacek: Das ist doch erstaunlich: Die moderne Ökonomie besteht aus viel mehr Glauben und Vorspiegelungen, als manche wirtschaftlichen Lehren der Bibel. Wenn Sie die maßgeblichen Theorien der Mainstream-Ökonomie etwa mit den wirtschaftlichen Abhandlungen von Thomas von Aquin vergleichen, stellen Sie fest dass Thomas der viel wissenschaftlichere Ökonom war.

Die Furche: Sie schreiben, dass die wirtschaftliche Hochkonjunktur die Schwächen eines Systems verdeckt, während Krisen sie offen legen. Wie fällt denn da nun der Schadensbericht zu Europa aus?

Sedlacek: Wir sagen immer, dass Europa und der Euro tot sind, aber das Gegenteil ist der Fall. Die EU war noch nie so lebendig wie heute. Zu keiner Zeit war sie ein so großer Bestandteil der öffentlichen Diskussion. Heute wird Europa schon im entferntesten Dorf und in den entlegensten Kneipen diskutiert. Davon hätten die Gründerväter nur träumen können.

Die Furche: Aber der Charakter der Diskussion ist doch durchwegs negativ. Allein was da an Vorurteilen gegen die Südeuropäer transportiert wird, ist haarsträubend.

Sedlacek: Sie meinen das Gerede von den "faulen Griechen“ etc. Das ist dumm, aber wenigstens gibt es eine flächendeckende Diskussion. Nicht alle, die diskutieren sind so dumm. Meine Konklusio ist, dass in der Geschichte Europas seit 1945 immer der eine dem anderen aus der Patsche geholfen hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es sogar die Griechen, die den Deutschen geholfen haben. Es geht immer hinauf und hinunter. Das Geheimnis ist, die schwachen Teile nicht absterben zu lassen.

Die Furche: Gehen wir ein wenig ins Grundsätzliche. Sie sagen, die Ökonomie sei wie ein Zombie, ihre Seele sei verloren gegangen, als die Moral vertrieben wurde.

Sedlacek: Es gibt da einen sehr schönen Film von Charlie Chaplin: Moderne Zeiten. Da gibt es eine Maschine, die den Arbeiter, der sie bedient vollkommen beherrscht. Je mehr der Mensch zum Roboter wird, desto erfolgreicher ist er. Im Film gibt es sogar eine Apparatur fürs Essen, damit niemand Zeit verliert. Das ist eine Vision, aber wenn Sie sich umsehen, stellen Sie fest: Sie ist tatsächlich eingetreten. Seit Anbeginn der Geschichte tötet das Harte das Weiche. Nehmen Sie Kain und Abel. Und heute: Arbeit zerstört Familie. Sex tötet Liebe etc. Also muss man die Menschheit vor sich selbst schützen.

Die Furche: Ja, aber wer schützt? Sie erwähnen Platon und Aristoteles, weil sie die Zurückhaltung und die Mäßigung lehrten. Aber beide haben damit in der Realität kaum etwas erreicht. Athen brauchte einen Solon, um zu einer echten Reform zu kommen. Wer ist unser moderner Solon?

Sedlacek: Ich glaube, den gibt es noch nicht. Wir verstehen erst langsam, dass wir selbst das System sind und uns selbst beschränken müssen. Das ist hart, weil unser Imperativ das Genießen und das Konsumieren ist. Wenn man den Homo Oeconomicus untersucht, wird man feststellen, dass er ein Sklave seiner Leidenschaften ist. Das einzige, was ihn stoppen kann, ist Geldmangel. Den Geldmangel kann man über Schuldenmachen und Kredite beseitigen. So ist es geschehen. Aber der Weg zurück passt nicht in unser Glaubenskonzept von der Ökonomie passt. Das hieße Mäßigung.

Die Furche: In Ihrem Buch zitieren Sie C. G. Jung: Ohne Leid gibt es keine Veränderung. Das könnte man auch auf die Wirtschaft beziehen, im dem Sinn, dass eine Krise alte Industrien und Technologien zerstört, um neuen zum Durchbruch zu verhelfen.

Sedlacek: So habe ich das noch gar nicht betrachtet. Aber das wäre logisch.

Die Furche: In diesem wirtschaftlichen Fall würde eine solche neue Technologiewelle das Leiden des Systems aber nicht lindern, sondern bloß verjüngen.

Sedlacek: Richtig. Mehr noch als das: Die Forderung nach neuem Wachstum wird von ihren Vertretern auch als sozialer Auftrag gesehen - um Arbeit für die Armen zu schaffen. Wachstum wird als Schlüssel zu allem gesehen und Wachstum rechtfertigt alles.

Die Furche: Das bringt uns zu Ihrem schönen Gleichnis von den zwei Bieren.

Sedlacek: Es geht darum, dass drei Menschen um einen Tisch stehen, aber nur zwei Gläser Bier vorhanden sind. Das ist das Verteilungsproblem. Wer von den dreien soll leer ausgehen? Bisher wird das Problem durch ein Wunder gelöst. Wir erfinden ein Bier dazu und verschulden uns dafür.

Die Furche: Sehen Sie da eine Aussicht auf Besserung?

Sedlacek: Sehr schwer. Die Versuchung ist zu groß. Nehmen Sie Adam und Eva: Ob die beiden wohl auch von dem Apfel gekostet hätten, wenn sie eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechung angestellt hätten? Ich denke nicht. Aber sie taten es. Warum? Aus Neugierde? Anderes Beispiel: Warum öffnete Pandora die Büchse? Aus Neugierde. Wir tun also vieles unbedacht, und vieles nicht einmal bewusst. Mein Punkt ist: Wir kehren das Theorem von der unsichtbaren Hand sehr oft um: Das Schlechte schafft bei uns nicht, wie uns versprochen wird, automatisch das Gute sondern das Gutgemeinte schafft das Schlechte. Das ist vielleicht sogar unser Hauptproblem.

Erfrischend Lästerliches

Was das Buch von Tomas Sedlacek so berückend macht, ist die Liebe, mit der er aus den ältesten Stoffen der Weltliteratur ökonomische Gedanken filtert. Es beginnt mit dem Gilgamesch-Epos und der Bibel. Sedlacek sieht Letztere als zentrales Werk der westlichen Wirtschaftsmentalität sieht. Doch während im Alten Testament Gott und seine Gebote das moralische Gewand der wirtschaftlichen Praxis bilden und Übertretungen hart bestraft werden, fehlt der heutigen Gesellschaft ein solcher Schutz vor den menschlichen Trieben und Übertreibungen. Insoferne hat Sedlacek ein beinahe wehmütiges Buch über den Sieg des Nutzenprinzips über die Verantwortung geschrieben. Gelungen ist ihm dabei ein spannender Zug durch die Geschichte der Ökonomie, die alte Denker vor den Vorhang bittet und ihre Vorschläge durchdachter und zeitgemäßer erscheinen lässt, als die Ergüsse mancher moderner Wirtschaftsgurus. (tan)

Die Ökonomie von Gut und Böse

Von Tomas Sedlacek,

Hanser Wirtschaft 2012

447 Seiten, gebunden, Euro 25,60

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