Krieg, Angst, Ohnmacht

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Was das Vorgehen der USA gegen den Irak bereits im Vorfeld anrichtet.

Es gibt noch eine Alternative zum Krieg", sprach Jacques Chirac. Ob der französische Präsident das selbst glaubt oder auch wirklich glauben will, wissen wir nicht. Aber nimmt man den Satz für bare Münze und lässt alle taktisch-strategischen Überlegungen, die man Chirac wohl auch unterstellen muss, beiseite, so drückt sich darin so etwas wie eine weltumspannende Hoffnung aus: dass der Krieg der USA gegen den Irak doch nicht stattfinden möge. Eine Hoffnung freilich, die mit jedem Tag verzweifelter anmuten muss.

Bereits in seinem Vorfeld hat der Krieg verheerende Folgen gezeitigt. Zähflüssig und schwer liegen Angst und Unsicherheit über den Menschen, jedenfalls in Europa. Dieses Gefühl bezieht sich nicht nur auf den unausweichlich scheinenden Militärschlag selbst und seine Folgen. Das, was geostrategisch als "transatlantisches Zerwürfnis" und "neue Spaltung Europas" beschrieben und analysiert wird, hat auch eine sehr unmittelbare Komponente - man spürt, dass etwas aus den Fugen zu geraten droht oder bereits geraten ist.

Die Verunsicherung greift um sich: Wo stehen wir? Wo gehören wir dazu, besser: wollen wir dazu gehören? Zum "Westen", gewiss. Aber geht das ohne Amerika? Gilt etwa auch hier: Du musst Dich - kritische Loyalität zu den USA, Vorbehalte hin oder her - zwischen zwei Optionen entscheiden, et tertium non datur - ein Drittes gibt es nicht? Aber haben wir nicht eben erst die Rede von der europäischen Vereinigung, Erweiterung, Vertiefung als Friedens- und Wohlstandsprojekt verinnerlicht? Verstanden auch als - wenn auch den selben Idealen verpflichteten - Gegenentwurf zu den wirtschaftlich, militärisch, politisch "entfesselten" USA? Oder ist das alles nur eine Illusion des "alten", müden, perspektivenlosen Europas, während die, deren "Rückkehr nach Europa" in unzähligen Sonntagsreden beschworen wurde, längst über den Atlantik blicken?

"Auf der einen Seite Antiamerikanismus, Antikapitalismus, Antisemitismus, religiöser Fundamentalismus und der Sieg des Kollektivs über den Einzelnen. Gleichheit statt Freiheit. Auf der anderen Seite Marktwirtschaft, Liberalität, Individualismus. Freiheit statt Gleichheit", schrieb Mathias Döpfner zum Jahrestag des 11. September in der Welt. Und weiter: "Man mag einwenden: Ganz so einfach sind die Dinge nicht. Aber man möge darüber nachdenken: Vielleicht sind sie es doch."

Nein, das sind sie nicht, so sehr klar formulierte Positionen auch zu verlocken vermögen. Denn es kann nicht jede Kritik an Bushs religiös aufgeladenem Schwarz-Weiß-Denken, an Sharons Wüten in den Palästinensergebieten ("Amerika wie Israel sind zwei Seiten einer Medaille", schreibt Döpfner) unter "Gleichheit statt Freiheit" subsumiert werden. Das wäre die "Antiamerikanismus-Keule" - um nichts besser, nicht weniger verdummend, dialogtötend als die "Faschismus-Keule".

Europas bestes Erbe

Aber - gerade in bedrängenden, turbulenten Zeiten sollte man über seine Koordinaten nachdenken. Und zu solch grundsätzlicher Ausrichtung taugen dann Döpfners gewiss sehr zugespitzte Überlegungen vielleicht doch: Amerika steht auch und noch immer für das Beste aus dem europäischen Erbe: für eine plurale, offene Gesellschaft auf demokratisch-rechtsstaatlicher Basis, hinter die zurückzugehen sich niemand wünschen sollte. (Und weil zu diesem Erbe die jüdisch-christliche Tradition ganz wesentlich beigetragen hat, der ältere Teil dieses Stranges in Europa aber nahezu restlos ausgelöscht wurde und in Amerika neue Heimat fand; und weil eine Folge dieser Auslöschung auch die Gründung des Staates Israel war - deswegen sind New York und Jerusalem nicht nur realpolitisch sondern im Kern verbunden.)

Noch einmal: Das alles soll nichts von dem, was derzeit passiert, legitimieren. Aber es ist wichtig, gerade jetzt, da sich unter dem Deckmantel einer breiten "Antikriegsfront" auch viel dubioses Gedankengut zur Rechten wie Linken versammelt, solches klar im Blick zu haben.

Es macht die Sache freilich um nichts leichter. Wir dürfen den Vorwurf des "alten Europas" - auch wenn uns der, der ihn erhoben hat (US-Verteidigungsminister Rumsfeld), aus guten Gründen nicht passt - nicht leichtfertig vom Tisch wischen. Wir können aber andererseits das, was derzeit in Washington unter "neu" verstanden wird, uns kaum zu eigen machen. Aus diesem Dilemma werden wir, so steht zu befürchten, mittelfristig nicht herauskommen - mit für alle spürbaren Folgen. Zur allgemeinen Angst und Unsicherheit tritt noch etwas, vielleicht am schlimmsten, hinzu: Ohnmacht.

rudolf.mitloehner@furche.at

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