Krieger und Schweigen

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Der Pazifismus scheint (mund)tot. Im Angesicht der Kosovo-Tragödie gibt es Krieger - und Schweigen. Für Friedensbewegte bleibt aber genug zu tun.

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Der Pazifismus scheint (mund)tot. Im Angesicht der Kosovo-Tragödie gibt es Krieger - und Schweigen. Für Friedensbewegte bleibt aber genug zu tun.

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Die heurige Ostermontag-Demo wurde den Berliner Pazifisten arg vermasselt: Fassungslos, so berichtet die "Berliner Zeitung", habe die Grünen-Abgeordnete Sibyll Klotz auf die Tausendschaft von Serben gestarrt, die nationalistische Parolen skandierte und so den grünen Friedens-Event für eigene Zwecke nutzte: Die Kundgebung war doch für eine friedliche Lösung des Kosovo-Krieges ...

Trotz obiger Fassungslosigkeit sind manche deutsche Basisgruppen nicht ganz zur Ruhe gekommen: Zumindest gingen Demonstrationsbilder, auf denen ein mit Hitler-Bärtchen verziertes Konterfei von Kanzler Schröder herumgetragen wurde, um die Welt. Obwohl derartige Sicht der Dinge die Propagandamaschinerie von Slobodan Milosevi'c befriedigen dürfte: Die wirkliche Stimmung unter der ehedem friedensbewegten, eher linken Reichshälfte war eine andere.

Ausgerechnet der grüne Außenminister Joschka Fischer optierte klar für den NATO-Schlag, und Daniel Cohn-Bendit, Speerspitze der 68er, propagierte den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo. Auch wenn es innerhalb der deutschen Grünen und in Teilen der SPD kriselt: Der große Aufschrei - weder in die eine noch in die andere Richtung - blieb aus. Ratlosigkeit und Verstummen, vor allem der Intellektuellen, herrschte vor; erst als sich etwas Längeres als ein Blitzkrieg abzeichnete, begann die geistige Auseinandersetzung mit den Perspektiven rund um den Kosovo langsam anzulaufen.

Aber auch diese Diskussion unterschied sich an Heftigkeit fundamental von früherer Kontroverse, etwa der im Golfkrieg 1991, als das einstige (linke) Friedenslager sich in "Bellizisten" (Befürworter des Militärschlags gegen Saddam Hussein) und "Pazifisten" (Gegner der Aktion) spaltete, die einander wenig schuldig blieben. Doch diesmal verschlug es den streitbaren Intellektuellen die Rede. Der deutsche Dichter Hans Magnus Enzensberger, 1991 einer der Wortführer der Bellizisten, ließ sich diesmal vom Magazin "Der Spiegel" kaum eine Aussage, jedenfalls keinen neuen Aspekt entlocken, sein Tenor: "Es gab für mich keinen Anlaß zu einem Kommentar."

Zu verfahren schien offenbar den Rede- und Denkfreudigen die Lage, als daß Klarheit in Wort und Engagement möglich war. In Österreich, das in derartigem Diskurs kaum je eine Vorreiterrolle einnimmt, zeigt sich die Situation von nicht minderer Ratlosigkeit geprägt. Zuerst wurden die Argumente aus dem westlichen Ausland nachgedruckt: So äußerte der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter, einst Galionsfigur der Antimilitaristen, seinen fehlenden Ausblick im Zürcher "Tages-Anzeiger", der Wiener "Standard" lieferte den Artikel drei Tage später nach. Auch Daniel Cohn-Bendits Erklärung der Lage war in Österreich nachzulesen - in der "Kleinen Zeitung" und im "Format", diesmal ein Nachdruck aus der Pariser "Liberation".

Ein (Auslands-)Österreicher beteiligte sich schon von Anfang an: Aber die Äußerungen Peter Handkes zum Thema, das heißt seine Nibelungentreue zu Milosevi'cs Politik, trugen bislang kaum zur Befruchtung und zu einer Perspektive bei.

Eigentlich fängt auch hierzulande die Diskussion erst in diesen Tagen richtig an (Andre Heller etwa, im "Format": "Ich bin ratlos"). Daß neuerdings der grüne Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber in großflächigen Anzeigen "Sieben Gründe für die Verurteilung des NATO-Krieges" unters Volk bringt, ist lediglich eine Facette der österreichischen Debatte und zeigt vor allem, wofür die Grünen ihr Europawahlkampfbudget ausgeben.

Dabei erlauben die Lage im Kosovo und die Situation in Europa kaum, sich bloß mit der skurrilen Parteinahme eines alternden Dichters oder mit Aktionen wie der "Fact-finding-Mission" des KPÖ-Vorsitzenden Walter Baier nach Belgrad in süffisantem Kommentar auseinanderszusetzen.

Eigentlich ist sowohl das derzeitige Schweigen der Intellektuellen fatal als auch die Ratlosigkeit der Friedensbewegten (reine Anti-NATO-Aktionen und Transparente wie oben dargestelltes sind - abseits aller moralischen Qualifikation - schlicht eine Beleidigung gesunden Menschenverstandes).

In Wirklichkeit sind Pazifisten, gerade weil - wie Horst Eberhard Richter meint - sie zur Zeit "verloren" haben, gefragt. Denn selbst wenn die NATO-Aktion in Jugoslawien und im Kosovo an ein Ende kommt und Erfolg hat (was immer darunter zu verstehen ist), beginnt die Arbeit erst, das in jeder Hinsicht verbrannte Land wieder urbar zu machen. Das ist aber jetzt und heute anzugehen, vielleicht in der Weise, wie sie die Grande Dame der Bewegung für Gewaltlosigkeit, Hildegard Goss-Mayr, im Furche-Interview andenkt (siehe Seite 11): * Zum Beispiel, indem Modelle und Szenarien für eine im kleinen wie in der großen Politik lebbare (Ko-)Existenz entwickelt werden.

* Zum Beispiel, indem Österreich - als politisches Zeichen - Kriegsdienstverweigerer aus Jugoslawien aufnimmt und ihnen nicht nur hilft, dem heimatlichen Grauen zu entfliehen, sondern auch dazu beiträgt, ihr Vertrauen in demokratische und friedliche Formen des Zusammenlebens zu entwickeln.

Neben aller humanitärer Aktivität und der Linderung unmittelbarer Not ist Vor- und Weiterdenken - und dann Vor- und Weitertun - gefragt.

Sonst bleibt Europa mitschuldig erstarrt. Die Zürcher "Weltwoche" druckte in den ersten Kriegstagen auf der Titelseite ein Gedicht des Schweizer Autors Franz Hohler ab, in dem dieser fragt, was man angesichts des Luftkriegs zum Schutze der Menschen am Boden tun könne. Hohlers Antwort: Wir / die Friedensfreunde von heute / rollen die weißen Fahnen ein / senken die Köpfe / und müssen uns eingestehen: / Nichts. / Ratlos sind wir / verstört und wütend / und bald schon / reif / für den Krieg.

Solches darf doch nicht die europäische Perspektive bleiben!?

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