Kriegsdichter - Trompeter und Harfenisten

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Nur wenige hörten von Anfang an aus Filippo Tommaso Marinettis begeisterter "Symphonie der Kanonenschüsse und der Soldatenlieder“ wie Alfred Polgar die "richtige“ Musik des Krieges heraus, "wenn über dem basso ostinato der Geschoße Verwundete und Sterbende ihre Jammerkoloraturen trillern“. Doch viel ärger als die "Trompeter“ sind für Polgar die "Harfenisten“, die von der "Mordorgie“ so sanft erschüttert werden, dass ihre "Seele in metrische Schwingungen gerät“. In beiden Sparten war die Lyrikproduktion erschreckend hoch, in den ersten beiden Kriegsjahren sollen in Zeitungen und Zeitschriften an die 100.000 Kriegsgedichte gedruckt worden sein.

Trompeter wie Harfenisten attackiert Karl Kraus in seinem "Marstheater“ "Die letzten Tage der Menschheit“ genauso unerbittlich wie jene Journalisten- und Schriftstellerkollegen, die es sich im Hinterland im Kriegsarchiv "gerichtet“ haben - was Kraus nicht tun musste, er war dienstuntauglich. "Ihr Föleton über die französische Büldhauerin, Auguste, wie heißt sie nur, ... so ähnlich wie Rodaun, sehr frisch war das geschrieben“, sagt der Hauptmann zu Rilke in einer Szene im Kriegsarchiv im Ton der Militärhumoresken aus der "Muskete“. Felix Dörmann hat im Dichter-Eifer nachgelassen und erhält eine Rüge: "[G]eben S’ Ihnerem Musenroß die Sporen“, während der "Müller Hans“ schon wieder eine Fleißaufgabe gemacht hat, "er schreibt förmlich Schulter an Schulter - zum Beispiel mit Ganghofer.“ An anderer Stelle spielt Kraus die "Simplicissimus“-Karikatur von Rangvald Blix ein: "An der Ostfront. Ganghofer ist da - der Sturm kann beginnen!“

Am Schreibtisch und im Schützengraben

Kinder lässt Kraus als Strafarbeit den "Prinz Eugen“ von Hofmannsthal abschreiben, der 1915 mit martialischen Illustrationen des "Muskete“-Mitarbeiters Franz Wacik erschien. Und mit Häme macht sich Kraus über den offenen Brief an Hofmannsthal lustig, den Hermann Bahr im August 1914 tatsächlich in deutschen und österreichischen Zeitungen publiziert hatte mit dem legendären Eröffnungssatz: "Ich weiß nur, daß Sie in Waffen sind, lieber Hugo“. Bei Kraus wie in Wirklichkeit liest Hofmannsthal die Zeitung freilich nicht am imaginierten Lagerfeuer oder gar im Schützengraben, sondern am Schreibtisch.

Die größte Herausforderung aber war Alice Schalek. Mut konnte nicht einmal Kraus ihr absprechen. Unermüdlich stellte sie mitten im Kampfgeschehen dem Mann am Mörser, dem Bombenflieger und noch dem sterbenden Soldaten die erschreckend heutig wirkende Frage nach dem persönlichen Befinden. Was ihr Kraus vorwirft, ist nicht nur ihre Kriegsbegeisterung, es ist ihr Geschlecht und die Tatsache, "daß der Weltkrieg sie gezwungen hat, von mir überschätzt zu werden … Wenn aber der tragische Karneval verrauscht ist und ich ihr beim Katzenjammer unseres Tages irgendwo im Hinterland begegne, werde ich sie für eine Frau halten.“ Liest man Kraus’ misogyne Äußerungen - etwa: "Eine Frau soll nicht einmal meiner Meinung sein, geschweige denn ihrer“ -, klingt das tatsächlich nach einer gefährlichen Drohung.

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