Krise als Gottes AUFTRAG

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In der Diskussion um den katholischen Kirchenzustand mag man gar nicht mehr hören, dass die Krise auch eine Chance sei etc. Und doch gibt es Stimmen, die bedenkenswert sind.

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In der Diskussion um den katholischen Kirchenzustand mag man gar nicht mehr hören, dass die Krise auch eine Chance sei etc. Und doch gibt es Stimmen, die bedenkenswert sind.

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Zuletzt setzte er sich in der August-Ausgabe der Herder Korrespondenz mit dem Themenfeld Homosexualität und Klerus auseinander: Einmal mehr dürfte die Analyse des deutschen Jesuiten Klaus Mertes innerkirchlich nicht nur Begeisterung hervorrufen. DennochsinddemOrdensmanndiescharfsinnigen Analysen zu danken, mit der er seiner Kirche einen großen Dienst erweist - auch wenn das viele (noch) nicht wahrhaben.

Mertes argumentiert, dass etwa die Rede von einer "schwulen Lobby" im Vatikan, wie sie im Zuge der Vatileaks-Affäre aufkam, problematisch ist. Zuletzt hatte ja Papst Franziskus selber in einer Privataudienz davon gesprochen, dass es diese tatsächlich gebe.

Die völlig verfehlte Sicht der Dinge

Mertes weist in der Herder-Korrespondenz jedoch darauf hin, dass die Kirchenleitung selber ein gerüttelt Maß Mitverantwortung an dieser Debatte trägt. So habe Kardinal-Staatsekretär Tarcisio Bertone im Zuge der 2010 aufgekommenen Missbrauchsaffären

rund um den katholischen Klerus die Strategie verkündet, wenn man die Schwulen aus dem Klerus entferne, "dann haben wir keine sexuellen Übergriffe mehr". Mertes zeigt auf, dass dies eine völlig verfehlte Sicht der Dinge ist. Denn zum einen ist die Missbrauchsthematik - auch durch katholische Geistliche - keineswegs auf homosexuelle Übergriffe beschränkt. Und zum anderen wird es schwulen Geistlichen praktisch verunmöglicht, über die eigene Sexualität zu reden. Nachdem Homosexualität mittlerweile sogar ein Zulassungshindernis zur Priesterweihe ist, müssten Homosexuelle, die Priester werden wollten, schweigen und mit einer Lüge leben. Keine Frage, was dies für Psyche und Sozialverhalten Betroffener bedeutet.

Klaus Mertes legt hier den Finger in eine tiefe Wunde und zeigt auf, wie sehr der zölibatäre Klerus der Gefahr einer männerbündischen Verengung unterliegt. Das Wort von einer "schwulen Lobby" entstamme jedenfalls dem "Arsenal der homophoben Kampfsprache". Die Verengung trete dort auf, wo sich die homosoziale Struktur des Klerus mit der Macht verbündet. Papst Franziskus habe in seine Gesten - Mertes nennt die Gründonnerstagsliturgie, wo der Papst auch einer jungen Muslima die Füße wusch - begonnen, dies aufzubrechen: "Die Männerbünde entmachtet man am einfachsten dadurch, dass man einfach das macht, wovor sie am meisten Angst haben: sich öffnen, an die Ränder gehen, den Stallgeruch der Schafe annehmen."

Ein katholischer Hoffnungsträger

Schon dieser Aufsatz in der katholischen Vordenkerschrift Herder Korrespondenz zeigt, dass Klaus Mertes zu einem katholischen Hoffnungsträger geworden ist -einer, der den Katholiken, die nicht zur Fraktion der Superfrommen gehören oder die sich gerade nicht an der Rückabwicklung des II. Vatikanum beteiligen wollen, Mut gibt. Auch Mertes' jüngstes Buch, "Verlorenes Vertrauen. Katholisch sein in der Krise", ist eine erfreuliche Erscheinung. Der Jesuit erzählt darin zum einen glaubwürdig, wie es ihm 2010 als Rektor des Berliner Canisius-Kollegs erging, als er versuchte, zurückliegende Missbrauchsfälle an seiner Schule aufzuarbeiten. Dabei geriet er, ohne dass er es wollte, selber in den Fokus des Medieninteresses. Im Abstand von drei Jahren beurteilt der Jesuit diese Zeit als lehrreich für sich, seinen Orden und für seine Kirche - und schließt daraus, dass die Krise inklusive der Missbrauchskrise als Zeichen der Zeit, ja als Gottes Auftrag verstanden werden kann. Diese Erkenntnis ist dazu angetan, aus der Krise herauszufinden.

Von daher ist das Buch eine Fundgrube für Mut-Suchende: Mertes redet einer Katholizität das Wort, die nicht auf Sonderfrömmigkeiten setzt, sondern auf gestandenes Christsein, das sich auf die Fragen der Welt auch einlässt. Wer also mehr oder weniger regelmäßig in die Kirche geht, aber nicht dem Milieu von kath.net oder bestimmten geistlichen Bewegungen anhängt, wird mit dieser menschenverbindenden Menschensorge, die der Jesuit Mertes auf den Tisch legt, viel anfangen. Dabei spricht der Autor große Themen an, die in der katholischen Kirche längst noch aufzuarbeiten sind: Machtstrukturen, Macht und Sexualität, Gehorsam und vieles mehr. "Katholisch" sei in den letzten Jahren immer mehr "zu einem Kampfbegriff" geworden, schreibt Mertes - und zwar innerhalb des Katholizismus, wo er einen "Rückkopplungseffekt" ortet. Dieser trete ein wenn Getaufte aus anderen Konfessionen zur katholischen Kirche übertreten, "weil dort das Patriarchat in Ehren und Homosexualität für eine schwere Sünde gehalten wird - eine absurde Reduktion des Begriffes ,katholisch' und ein verhängnisvoller Rückschlag für die Ökumene". Mertes setzt fort: "Zeitgleich entwickelt sich in der katholischen Kirche bis in höchste Kreise hinein eine Rausschmeißer-Mentalität nach dem Motto:,Werd' doch direkt evangelisch.' Das trifft vornehmlich Katholiken, die Bedenken oder Widerspruch gegen Entwicklungen in der katholischen Hierarchie anmelden." Allein dieses Zitat zeigt, wie sehr Mertes imstande ist, die Fragen auf den Punkt zu bringen.

In der gegenwärtigen "Krisenliteratur" zur katholischen Kirche kann man oft schon gar nicht mehr hören, die Krise sei eine Chance usw. Mertes macht es sich da nicht so einfach -denn die Krise hat Gründe, die zu benennen sind. Und in der Krise brauchen diejenigen Zuspruch, die geblieben sind. Vielleicht ist es ja ignatianische Kunst, dass Klaus Mertes genau diese Mutmachungen liefert. Man kann in der Krise katholisch bleiben. Gott sei Dank.

Im gleichen Atemzug soll auch auf die neue Publikation des Tübinger katholischen Dogmatikers Bernd Jochen Hilberath hingewiesen werden, der seinem Buch "Bei den Menschen sein"(dieser Titel entstand noch vor der Papstwahl, obwohl er direkt von Franziskus stammen könnte ) den Untertitel "Die letzte Chance für die Kirche" hinzugefügt hat. Auch Hilberath sucht nach den Zeichen der Zeit und stellt die für einen Theologen radikale Frage, wozu die Kirche (noch) gut ist. Die Antwort darauf gibt zwar schon der Buchtitel - aber es ist wert, das Ganze zu lesen, weil es ein ehrliches Ringen dokumentiert, wie dieses "Bei den Menschen Sein" erreicht werden könnte - und welche Veränderungen für die Kirche dies impliziert.

Verlorenes Vertrauen Katholisch sein in der Krise Von Klaus Mertes. Herder 2013. 224 Seiten, geb., € 20,60

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