Am 1. Dezember 2013 jährt sich Ernst Tollers Geburtstag zum 120. Mal. Der Literat und Politiker wurde nach seinem Suizid 1939 erstaunlich schnell vergessen.
Nicht nur das Stück "Die Wandlung“ machte Ernst Toller 1919 berühmt, sondern auch seine Beteiligung an der Münchner Räterepublik, an deren Spitze er kurze Zeit stand. Dieser Eintritt in die Geschichte auf gleich zwei Feldern, dem der Politik und der Literatur, sollte wegweisend für Tollers weiteres Leben sein. Für rund zwei Jahrzehnte, bis zu seinem Selbstmord aus Verzweiflung in New York, war Toller vielleicht sogar der international berühmteste deutsche Intellektuelle, geachtet als Dichter und gefragt als Redner.
Am 1. Dezember 2013 jährt sich sein Geburtstag zum 120. Mal, aller Voraussicht nach ohne Gedenkfeiern oder andere Aufmerksameiten, die man früheren Berühmtheiten entgegenzubringen pflegt. Warum ist das so?
So berühmt er war - Toller wurde erstaunlich schnell vergessen, und das lag nicht allein an den Nationalsozialisten, die 1933 auch seine Bücher verbrannt hatten und für die Toller gleich mehrfach Unperson war, als kritischer Intellektueller, als Politiker und als Jude. Bei der Trauerfeier hatte noch Klaus Mann ein Grußwort seines Vaters Thomas verlesen. Doch schon eine Woche später, nach der Einäscherung des Toten, interessierte sich niemand für seine Urne, nicht einmal seine 20 Jahre jüngere, als begabte Schauspielerin und große Schönheit geltende Ehefrau Christiane Grautoff.
Toller war, noch vor Brecht, der bekannteste Dramatiker der Weimarer Republik. Der berühmteste Regisseur dieser Epoche, Erwin Piscator, inszenierte 1927 Tollers "Hoppla, wir leben!“, eine kritische Revue, deren Titel zum geflügelten Wort wurde. Noch während er seine fünfjährige Haft als Strafe für die Beteiligung an der Räterepublik verbüßte, feierte Toller ebenso große wie skandalumwitterte Erfolge, vor allem mit der Tragödie "Der deutsche Hinkemann“ von 1923, in der ein vom Krieg beschädigter und kastrierter Mann zur symbolischen Figur für das politische und soziale Elend der Zeit wird.
Revolutionär ohne Partei
Dieses Elend kannte der Häftling Toller aus täglicher Anschauung. Über die Zeit im Gefängnis schrieb er Bücher wie "Justiz. Erlebnisse“ (1927), die beispielhaft nachwiesen, dass die alten Eliten des Kaiserreichs zugleich die neuen Eliten geworden waren. Früh warnte er vor Hitler, anders als andere sah er die Gefahren, die von diesem größenwahnsinnigen Kleinbürger ausgingen. Mit der Figur des "entfesselten Wotan“ im gleichnamigen Theaterstück von 1924 werden solche vermeintlichen Heilsbringer, von denen es damals viele gab, satirisch vorgeführt.
Toller setzte sich stets für die Unterprivilegierten ein, und doch war er ein Revolutionär ohne Partei. Für die Rechten galt er als ein gefährlicher Roter, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt. Für die Sozialdemokraten war er zu radikal, für die Kommunisten war er zu liberal. Seine Weigerung, sich vereinnahmen zu lassen, dürfte mit dazu geführt haben, dass sich später kaum jemand mehr an ihn erinnern wollte. Auch jene, die es taten, hatten oft durch den Zeitgeist gefärbte Brillen auf. Etwa der Dramatiker Tankred Dorst, als er, passenderweise im symbolischen Jahr 1968, ein kurz mit "Toller“ betiteltes Stück auf die Bühne brachte, das den Protagonisten der politischen Zaghaftigkeit für schuldig befindet.
Medien als Sprachrohr
Zu Lebzeiten war die politische Unabhängigkeit aber auch ein Pfund, mit dem Toller wuchern konnte. Unermüdlich war er unterwegs, hielt Vorträge, las aus seinen Werken, nahm mit kaufmännischem Geschick große Summen ein, von denen er das meiste für gute Zwecke spendete. Dabei war er einer der ersten, die zu Medienstars aufstiegen, weil sie sich in der jetzt massenmedial geprägten und erstmals weitgehend zensurfreien Öffentlichkeit gekonnt zu inszenieren wussten. Toller sah gut aus, hatte ein einnehmendes Wesen, eine angenehme Stimme, er kannte und verstand die Medien, die er zu seinem Sprachrohr machte und mit deren Hilfe er seine Bekanntheit immer mehr vergrößerte.
Seine Medienpräsenz war ihm Mittel zum politischen Zweck. Dass ihm auch bei seinem letzten großen Hilfsprojekt, der Organisation einer Hungerhilfe für Spanien, wieder einmal die schlimmstmögliche politische Wendung dazwischenkam, war vermutlich der Auslöser für den Selbstmord am 22. Mai 1939. Toller wollte allen helfen und hätte doch selbst Hilfe gebraucht. Seine privaten Briefe an die ältere, verheiratete Betty Frankenstein sind so ganz anders als die öffentliche Inszenierung, die er betrieb. Sie zeigen nicht nur den tatkräftig tapferen, sondern einen ruhebedürftigen, verletzlichen und warmherzigen Menschen.
Wir leben, mit Peter Sloterdijk, in einem zynischen Zeitalter. Toller hatte Humor, aber Zynismus war ihm fremd. Seine Texte wirken, trotz der Konstruktionsarbeit, die dahinter steckt, unmittelbar auf ihre Leser. Auch wenn er ironisch wird, dient dies der Aufklärung, beispielsweise in seinem Vorwort zur Teil-Autobiographie "Eine Jugend in Deutschland“ von 1933:
"Lerne, daß einzig Blut ein Volk formt und baut und erhöht. Du willst wissen, was es mit diesem Blut für eine Bewandtnis habe in einem Lande, das von zahllosen Stämmen bewohnt und durchquert ward, frage nicht, glaube! Schon Dein Fragen ist verdächtig, hüte Dich, daß wir Dich nicht in die Reihen jener stoßen, die getilgt werden müssen vom Erdboden. Denn wir bestimmen, wer leben darf und wer sterben muß zu unserem Heil.“
Nationalismus als auf Lügen gebaute Religion: Damit hält Toller seinen deutschnationalen Zeitgenossen den Spiegel vor. Es sind ansonsten aber eher die kunstvolle Einfachheit und die Eindringlichkeit der Schilderungen, die für Toller typisch sind. Welches publizistisch-literarische Spektrum Toller durchschritten hat, wird die neue Werkausgabe zeigen, die 2014 erscheint. Auch eine Briefeausgabe ist in Vorbereitung.
Ein politischer Seismograph
Was hat Toller uns heute noch zu sagen? Einen Hinweis gibt der Zusammenfall der Jubiläen: Tollers 120. Geburtstag, sein 75. Todestag am 22. Mai nächsten Jahres, am 1. August gefolgt von der 100. Wiederkehr des Tages, an dem der 1. Weltkrieg begann. Toller wusste, wovor er warnte, als er literarisch gegen Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung zu Felde zog. Toller war ein Seismograph, er wies kritisch auf Hierarchien zwischen den Geschlechtern und zwischen Bevölkerungsgruppen, dabei zeigte er, wer davon profitierte - Juristen, das Militär, die Unternehmer und einige Politiker, besonders die radikalen Bauernfänger.
Toller glaubte an das Gute im Menschen, das ist die andere Seite der von ihm mit allen rhetorischen Mitteln geübten Kritik an den Verhältnissen. Wie seine heute noch berühmten Zeitgenossen Bertolt Brecht, der ungleich besser mit dem Exil umgehen konnte, Kurt Tucholsky, der ebenfalls Selbstmord beging, und Erich Kästner, der innerlich emigrierte, wollte Toller das schaffen, was schon Friedrich Schiller, der Ahnherr der engagierten deutschsprachigen Literatur, als Ziel ausgab: Er wollte mit der Literatur den Menschen bessern. Ob eine "ästhetische Erziehung“ (Schiller) möglich ist, bleibt heute so offen wie früher. Wer glaubt, dass sie wünschenswert und wohl auch notwendig wäre, der wird Tollers Prosa, Dramen und Gedichte mit Gewinn lesen.
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