Kritik aus reiner Vernunft

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Sarrazin & Co hatten lang die Debattenhoheit: Deutschland (Analoges gilt auch für Österreich) schaffe sich durch Toleranz gegenüber dem Islam ab. Nun formiert sich die Gegenposition.

Wo ist denn die Islamkritik geblieben? Staunend reibt sich Benjamin Dürr, Kommentator im Internet-Debattenmagazin The European die Augen: Die Speerspitzen der Verdammung des Islam, angefangen beim niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders, aber auch Ayaan Hirsi Ali oder Henryk M. Broder, "die sich sonst vor Debatten nicht scheuen, schweigen“. Süffisant vermisst Dürr die vom Großfeuilleton Hofierten angesichts der Ereignisse in Nahost und Maghreb: "Rechts herrscht Ruhe.“ Das Weltbild der populistischen Islamkritik - hier der Westen und die Demokratie, dort der Islam und die unterdrückerischen Regimes - sei ins Wanken geraten, so Dürr.

Des Kommentators Beobachtung hat Berechtigung: Da fällt oder wankt ein Regime nach dem anderen, aber keine finster blickenden Turbanträger, Maghreb-Talibans oder Reserve-Khomeinis stehen bereit. Es mag längst nicht ausgemacht sein, wie das Ganze ausgeht. Sicher bleibt dennoch, dass der Islam beileibe nicht das Hauptthema der Aufbrechenden ist. Es sei also "endgültig Zeit, sich vom schwarz-weißen Weltbild zu verabschieden“ (© Benjamin Dürr). Solche Konklusion scheint endlich notzutun.

Dürr ist beileibe nicht der Einzige, der die von den Empörungsritualen und griffigen Schlagworten gesteuerte Debatte der unter dem Segel "Islamkritik“ Fahrenden aufbrechen will. Vor ein paar Wochen haben sich in der Schweiz religiöse Feministinnen mit dem Manifest "Weibliche Freiheit und Religion sind vereinbar“ zu Wort gemeldet. Zwei Gegner haben diese Frauen ausgemacht: die "Vereinnahmung religiöser Traditionen durch patriarchale Definitionsmacht“ sowie die "Gleichsetzung von Religiosität mit Frauenfeindlichkeit und Rückständigkeit“.

Religiöse Feministinnen ergreifen das Wort

Die Protagonistinnen des Manifests - vier Christinnen, zwei Jüdinnen, zwei Muslimas - wollen zu einer "differenzierteren Debatte“ über Religion, den Islam, aber auch über den Feminismus anstoßen. Dabei positionieren sie sich explizit gegen "Feministinnen wie Alice Schwarzer, Julia Onken oder Necla Kelek in ihrer Islamkritik“ und werfen den Genannten "Geschichtsvergessenheit“ und "mangelnde analytische Schärfe“ vor, wenn diese keinen Unterschied machten zwischen Religion und "patriarchalen Auslegungen religiöser Traditionen“. Gut möglich, dass das hier Aufgezeigte einen Paradigmenwechsel andeutet: weg von den defensiven Zugängen der Anwälte einer differenzierten und differenzierenden Sicht auf den Islam in Europa.

Den angeführten Beispielen ist eine gewichtige Bucherscheinung in Deutschland, vielleicht gar die gewichtigste des bislang noch jungen Jahres 2011, beizufügen: Patrick Bahners, Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sticht mit seiner Streitschrift "Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam“ ins Wespennest der populistischen bis (christlich-)fundamentalistischen Islamkritik.

Die Gegner mit denen es sich Bahners anlegt, sind keine geringen - und vor allem eines: populär. Thilo Sarrazin, dessen Schlachtruf "Deutschland schafft sich ab“ den Herbst-Diskurs beim Nachbarn beherrscht hatte, wird in der Schrift angegriffen, ebenso Bestsellerautorin Necla Kelek, Bannerträgerin des Kampfes gegen Frauenverachtung und -vernichtung im (deutschen) Islam, sowie verbale Kraftmeier wider die muslimische Gefahr wie Henryk M. Broder oder Ralph Giordano. Letzterer werfe sein Gewicht als Schoa-Überlebender in die Waagschale, was aber, so Bahners, längst noch kein Ausweis für richtige Argumente der Islamkritik sei.

Thilo Sarrazin durfte Patrick Bahners in der FAZ sogleich als "Erdogans Ghostwriter“ abtun. Interessant, dass auch Necla Kelek im FAZ-Feuilleton gern gesehen war (und ist?). Die türkischstämmige Parade-Säkularisierte gab sich im Spiegel denn auch enttäuscht über die Anwürfe und verwies auf ihre Kenntnis etwa der Lage muslimische Schülerinnen, die Bahners nicht habe.

In der Tat ist Patrick Bahners Kritik eine Schreibtischtat. Der FAZ-Feuilleton-Obere gibt auch nicht vor, übers Leben der Muslime Feldforschung zu treiben. Aber gerade das ist bestechend: Denn mit dem Apparat abendländischer Bildung, die der Aufklärung, der Vernunft und der Demokratie verpflichtet ist, aber die religiösen Komponenten nicht von vornherein desavouiert, lassen sich ein Gutteil der Argumente von Broder und Kelek bis Sarrazin diskursiv aushebeln.

Islamkritik "abendländisch“ ausgehebelt

Bahners weist in schonungsloser Analyse auf die Schwächen etwa von Keleks Behauptungen zur Rückständigkeit des muslimischen Milieus hin: Hier würden soziologische oder anderweitig wissenschaftlich haltbare Belege schlichtweg fehlen.

Man muss der Islamsicht des Autors nicht zustimmen, aber man kann sich seinen Beispielen nicht entziehen, welche die Schlichtheit sowie die intellektuelle Unredlichkeit in der Argumentation der alarmistischen Islamkritik offenlegen. Der Punkt der Auseinandersetzung ist genau hier getroffen. Bahners ist kein Naiver, kein verblödeter Gutmensch, aber er mahnt schlicht und einfach diskursive Mindeststandards ein. Es ist frappierend, wie sehr er belegen kann, dass diese in der Debatte nicht eingehalten werden - und da bekommen nicht bloß die genannten Islamkritiker ihr Fett ab, sondern auch ein Philosophie-Star wie Peter Sloterdijk findet sich als Sozialdarwinist wieder.

Deutschland fürchtet sich vor dem Islam

Unterm Strich kommen so weder die agnostischen noch die rechten, linken, jüdischen, feministischen (auch hier: Alice Schwarzer!), katholischen (etwa Limburgs Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst), evangelischen (Bischof Wolfgang Huber), evangelikalen Islamgegner und Abendlandsretter davon. Bahners entlarvt auch gängige Argumentationsmuster wie jene über eine religiös geforderte Verschlagenheit der Muslime (Stichwort "Taqiya“). Die deutsche Angst vor dem Islam - dies gilt analog für Österreich - ist flächendeckend verbreitet.

Eine beklemmende Analyse, die, so darf prognostiziert werden, alsbald in den Schubladen verschwinden wird, weil Bahners die intellektuelle Bequemlichkeit, die aber letztlich die Demokratie aushöhlt, brandmarkt.

Interessant ist, dass Patrick Bahners selber aus der konservativen Ecke kommt und jedenfalls einem ebensolchen Katholizismus anhängt. Den Glaubensbrüdern legt er die Lektüre der Erklärung "Nostra Aetate“ des II. Vatikanums aufs Nachtkästchen, in der es heißt, dass die Kirche "mit Hochachtung“ auch die Muslime betrachte, "die den alleinigen Gott anbeten“ und die sich mühten, "auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft“. Bahners bemängelt mit Sprachkraft und nicht ohne Polemik, aber zu Recht, dass die (deutschen) Alarmisten ebendieser Hochachtung entraten.

Seinem im Untertitel explizit als "Streitschrift“ ausgewiesenen Buch gebührt das Verdienst, einen Gutteil der Argumente solcher Islamkritik als Trugbilder zu entlarven. Das musste endlich einmal jemand tun.

Die Panikmacher

Die deutsche Angst vor dem Islam

Von Patrick Bahners

C. H.Beck 2011. 320 Seiten, geb., Euro 20,60

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