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Realitätsflucht

gruppe 80, wien

In Johann Nestroys "Mein Freund", rund zweieinhalb Jahre nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 uraufgeführt, spiegeln sich die Verstörung der unteren Schichten und die Selbstherrlichkeit jener, die von den wieder zementierten Verhältnissen profitierten. Nach dem Theater in der Josefstadt zeigt nun auch das Theater Gruppe 80 dieses Stück, wobei Regisseur Helmut Wiesner, der sich bei seinen Nestroy-Inzenierungen immer auf Entstehungszeit wie -prozess einlässt, kräftig an der Oberfläche kratzt.

Nestroys Leihbibliothek (Bühne: Carlo Tommasi) wird zu einem Ort der Realitätsflucht. Wie in einem düsteren Traum drücken sich die Figuren um die raumfüllenden Regale. Einzelne Sequenzen steigern sich bis zur Absurdität. Aus dem Ensemble ragt vor allem Thomas Kamper als Schlicht. Vom Freund (plump gezeichnet als wendiges "Freunderl" mit Kärntner Dialekt von Franz Robert Ceeh) betrogen, lässt ihn die Unterdrückung seiner Agressionen förmlich erstarren. Ein Charakter mit zwanghaften Zügen, der sich gerne als Opfer sieht. Als Gegenstück zur Josefstadt-Inszenierung: interessant.

Annemarie Klinger

Fundstücke

jüdische Filmwoche

Ermuntert durch den Publikumserfolg des Vorjahres (6.000 Besucher), zeigt die diesjährige Jüdische Filmwoche abermals nicht nur Spezialprogramme und Erstaufführungen, sondern auch Klassiker und Fundstücke. Darunter der österreichische Monumentalfilm "Die Sklavenkönigin" (1924) von Mihály Kertész, der später als Michael Curtiz in Hollywood Karriere machte ("Casablanca") sowie das Musical "The Singing Blacksmith/Jankl der Schmid" (1938) und "The Light Ahead/Di Kljatsche/ Fischke der Krumer" (1939), des gebürtigen Wieners Edgar G. Ulmer. Auch zu sehen: der 1944 von Kurt Gerron in Theresienstadt gedrehte berüchtigte NS-Propagandafilm "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt".

Ein Höhepunkt des Festivals, das heuer erstmals auch in den Bundesländern stattfindet, ist sicherlich Robert Dornhelms TV-Zweiteiler "Anne Frank - The Whole Story" mit Ben Kingsley und Hannah Taylor Gordon, der bei der Emmy-Verleihung in Los Angeles vor zwei Wochen vier Preise erhalten hat. (22. November bis 6. Dezember, Information: 01/894 33 06, www.jfw.at)

Norma Bäcker

Hauch von Naivität

kammerspiele, wien

Im Nestroy-Jahr ermöglichen die Wiener Kammerspiele die sehenswerte Begegnung mit der amerikanischen Version der Posse "Einen Jux will er sich machen", die ihrerseits auf einer englischen Vorlage beruhte. "Die Heiratsvermittlerin" von Thornton Wilder, ab 1964 als "Hello, Dolly" ein Musicalwelterfolg, gibt vor allem Gabriele Jacoby als Dolly Levine (wie schon ihrer Mutter Marika Rökk im Musical) die Gelegenheit, alle Register ihres vielseitigen Könnens zu ziehen.

Ein Hauch von Naivität liegt über dem Stück und seinen Figuren, die zum Schluss den Jüngsten (Boris Eder) zum Verkünden der Aussage an die Rampe schicken: Das Leben ist eine Jagd nach Abenteuern und nach Sicherheit. In Attila Lángs solider Inszenierung reihen sich (Bühnenbild: Renate Rieder) die Szenen nett bilderbuchartig aneinander. Vor allem Rudolf Buczolich als langsam zur Bekehrung gelangender Griesgram sowie Nicole Beutler als fesche Witwe und Erich Altenkopf als unternehmungslustiger Kommis wissen zu gefallen.

Heiner Boberski

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