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Über Architektur, ihre derzeitige Konjunktur und ihre vielen Öffentlichkeiten. Ein Zwischenruf

Architektur existiert. Als Kunst, als Kulturtechnik, als Kulturindustrie. Und eben nicht nur als Investment und Rendite. Öffentlichkeiten für Architektur gibt es dadurch viele, politische wie mediale. Architektur, als gebaute Kunst, ist öffentlich wie keine andere. Und die Architektur ist auf verhängnisvolle Art und Weise mit einem Bauen an sich verknüpft, wo eben Architektur nicht stattfindet. Das unterscheidet aber auch die Architektur von den anderen Künsten, die nicht, wie es der große österreichische Architekt und Theoretiker Josef Frank einmal formulierte, "an der Straße steht, und zu allen Menschen spricht". Architektur ist unausweichlich da, präsent in der Öffentlichkeit. Dafür braucht Architektur einen Bauherrn, auf jeden Fall jemanden, der damit eine Absicht bekundet. Und eine Öffentlichkeit, politisch und medial, die ihr, eben politisch und medial, die Verwirklichung gestattet oder diese beschränkt.

Architekturpolitik

Dies ist der faktische Hintergrund für die heutige Epoche der absoluten Hochkonjunktur zeitgenössischer Architektur. Wohl niemals zuvor sah sich die Architektur einer vergleichbaren politischen und medialen Aufmerksamkeit ausgesetzt. Viele europäische Regierungen haben eigene "Architekturprogramme" formuliert, "Architekturpolitik" wurde damit zu einem eigenen Thema. Auch die mediale Berichterstattung hat den engen Diskurs der Fachmagazine verlassen und sickerte ein in die proklamierende Lifestyle-Debatte ebenso wie in die skandalisierende Lokalberichterstattung. So hat beispielsweise die Suchmaschine meiner eigenen Texte im Computer fast 100 Artikel der letzten 20 Jahre gefunden, in denen das Stichwort "Architektur und Öffentlichkeit" auftauchte.

Die Konjunktur der Architektur ist der wahre Grund, warum in den letzten 20 Jahren in ganz Europa auch eine Vielzahl von Institutionen, Archiven, Museen, Zentren gegründet wurde, die sich dem Zweck der Vermittlung von und zwischen Architektur und Öffentlichkeit mit politischem Auftrag widmen. Früher war die Kunst der Architektur ein Thema von grafischen Sammlungen oder von lokalen Bauarchiven. Nun bietet sie selbst öffentliche Orte der Vermittlung mit Ausstellungen und Veranstaltungen an. Und diese stehen nun vor der kulturtechnisch neuen, bislang unerprobten Herausforderung, die entsprechenden Angebote für die Politik und Öffentlichkeit zu entwickeln.

Es ist nämlich nach wie vor nicht leicht, Politik und Öffentlichkeit zu erklären, was eigentlich Architektur ist und was diese von all dem gebauten Müll der bewusstlosen Spekulation oder der kurzfristig kalkulierten Spektakel unterscheidet. Das Metier der Architektur verwendet zur Unterscheidung dann Bezeichnungen wie "Qualität, Zukunft, Engagement, Konzept". Oder es ist überhaupt vom künftigen kulturellen Erbe die Rede. Keiner dieser Begriffe ist als objektives Kriterium gültig. Ein Diktum, das aber alle zeitgenössische Produktion aller Künste trifft. Neue Architektur von kulturellem Wert wird so wie bei allen anderen Künsten nur von der Gemeinschaft der Institutionen und Experten gewichtet, die sich durch permanente Beschäftigung mit der Sache genügend Wissen und Kenntnisse erworben haben. Dennoch folgt die politische und medial-öffentliche Bewertung der Architektur anderen, nicht wirklich nachvollziehbaren Kriterien.

Urteile über Architektur

Wir haben einen inneren Diskurs der Disziplin Architektur. Und wir haben eine öffentliche Wahrnehmung des Gebauten. Das, was im inneren Diskurs der Architektur historisch logisch und notwendig erscheint, wird von der öffentlichen Wahrnehmung bislang einfach nicht verstanden. Aber haben wir nicht in jedem gesellschaftlichen und politischen Bereich, nicht nur im kulturellen, eine enorme Legitimitätskrise des Expertenwissens? Demgegenüber haben wir eine mediale Spektakel-Industrie, die pausenlos Stars und Trends generiert und proklamiert, ohne deren architektonische Substanz kritisch zu hinterfragen. Und genau in diesem fatalen Bruch von Produktion und Rezeption sind heute die Institutionen der Vermittlung in die Verantwortung genommen.

Beispiel Santiago Calatrava

Um dieses Dilemma zu erklären, nehmen wir als Beispiel die Situation und Entwicklung des spanischen Architekten Santiago Calatrava. Er hatte bis Mitte der 90er Jahre durchaus interessante und innovative Konzepte. Zu dieser Zeit hatte sich das Architekturzentrum Wien auch um eine Ausstellung seiner Arbeiten bemüht, die aus logistischen Gründen aber nicht zustande kam. Zehn Jahre später ist Calatrava zum Superstar und Fashion-Designer geworden. Der Direktor des Kunsthistorischen Museums in Wien sah eine Ausstellung von Calatrava in Athen und wünschte sich, dass diese Ausstellung auch in Wien, im Architekturzentrum gezeigt werden würde. Dies war in der gewünschten kurzen Zeit nicht möglich. Und wenn schon Calatrava im Architekturzentrum Wien gezeigt werden würde, dann müsste damit auch seine Position im innerarchitektonischen Diskurs dargestellt werden. Dazu muss man wissen, dass sich Calatrava heute als avantgardistischer Statiker generiert, der kühne Konstruktionen verwirklicht. Dieses wird aber von den technischen Expertisen der Fachwelt vehement bestritten. Calatravas Konstruktionen sind keine konstruktiv avantgardistischen Lösungen, sondern ästhetisch architektonische Ornamente und widersprechen allen Kriterien einer heute möglichen und visionären Technik.

Weil aber der Direktor des Kunsthistorischen Museums von Calatravas ornamentaler Formenwelt so begeistert war, widmete er ihm eine opulente Personal-Ausstellung und war sich nicht zu schade zu behaupten, dass er diese Ausstellung nur mache, weil sich das kleine AzW nicht imstande sah, diese Anregung umgehend zu realisieren. Auch die zuständige Ministerin beschuldigte in aller Öffentlichkeit das AzW, seine Aufgabe nicht zu erfüllen, weil es diese Ausstellung nicht veranstaltete.

Dieses Beispiel illustriert deutlich die heutige Situation der Vermittlung von Architektur. Star-Architekten verwenden die Institutionen der Öffentlichkeit zunehmend als Abspielorte ihrer Marketing-Strategien. Sie bestehen darauf, Konzept und Inhalt einer Ausstellung selbst zu bestimmen. Rem Koolhaas hat sich trotz unterzeichneter Verträge geweigert, seine Ausstellung "Content" in der Münchner Pinakothek zu zeigen, weil ihm das Museum nicht gefiel. Herzog+DeMeuron haben eine vereinbarte Tournee ihrer Ausstellung, die mit großen Aufwand vom CCA in Montreal produziert wurde, einfach abgesagt. Anders gesagt: Der Zirkus der Star-Architekten hat der Kunstwelt vergleichbare kulturindustrielle Allüren und Manöver angenommen. Es ist nur logisch, dass infolge dieser Entwicklung eine neue Kategorie der "Fashion-Architecture" entstanden ist, von kurz gehypten Shooting-Stars proklamierte Villen und Hotels, die nur mehr den Lifestyle bedienen.

Das Elend des Bauens

Die Architektur und ihre Vermittlung gegenüber Politik und Öffentlichkeit steht deshalb heute vor einer neuen und besonderen Herausforderung. Obwohl das Elend des alltäglichen Bauens täglich größer und dramatischer wird, eskapieren sich die Kunst der Architektur und ihre Stars in eine kulturindustrielle Medienwelt. Das ist unausweichlich gut und richtig so. Es stärkt die Rolle und Bedeutung der Architektur ganz allgemein. Aber eben deshalb braucht es angesichts dieses kulturindustriellen Marktes, dem Politik und Öffentlichkeit heute verfallen sind, Institutionen der Vermittlung von Architektur, die sich der allgemeinen Produktion der heutigen Architektur und ihrer historischen Vergewisserung widmen.

Die Kunst der Architektur leistet einen einzigartigen Beitrag zur Bekleidung und Ornamentierung unseres Lebens. Sie baut den Stil der Epoche. Die Kunst der Architektur hat aber auch einen unerlässlichen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen zu leisten. Architektur ist in den Medien heute Ornament, aber in Wahrheit ist sie auch Lebensmittel.

Der Autor ist Direktor des Architekturzentrum Wien.

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