Kunst auf allen Kanälen

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Die vielfältige Beziehung zwischen Kunst und Fernsehen zeigt „Changing Channels“ im MUMOK. Die Schau erstreckt sich von den 1960er bis zu den 1980er Jahren, dem goldenen TV-Zeitalter.

Entweder ein Museumsbesuch oder vor der Glotze hocken. Hier Hochkultur – da Massenverblödung, so ein gängiges Vorurteil. Keineswegs Realität, denn die Kunst hat seit Großwerden des Fernsehens in den sechziger Jahren die Nähe zu dem Massenmedium gesucht. In zahlreichen Werken spürten bildende Künstler und Künstlerinnen wie Andy Warhol, Nam June Paik, Dan Graham und auch die Österreicher VALIE EXPORT und Peter Weibel den ökonomischen, technologischen und bewusstseinsbildenden Mechanismen des Fernsehens nach. Umgekehrt hat das Massenmedium immer wieder von der provokanten Ästhetik der Künstler profitiert. Legendär dafür sind in Österreich die Humanic-Werbespots, die der Grazer Schuhhersteller 1969 startete. Humanic ließ seine Werbekampagnen von zeitgenössischen österreichischen Kunstschaffenden produzieren, dabei war es den Künstlern vollkommen freigestellt, ob sie Schuhe in ihren Spot integrierten oder nicht. Lediglich das Logo und der Slogan „Humanic passt immer“ sicherte den Wiedererkennungswert. Zu einem Renner wurde der von Axel Corti und Otto M. Zykan in einem Spot geprägte Slogan „Franz!“, der die Marke schlagartig bekannt machte. In den Achtzigern verfolgte der US-Musiksender MTV mit „Artbreaks“ eine ähnliche Strategie, indem er bei bekannten Künstlern kurze Spots in Auftrag gab, die zwischen den einzelnen Musikvideos gezeigt wurden.

Ambivalente Auseinandersetzung

Spannend ist die Beobachtung, dass die künstlerischen Auseinandersetzungen rund um das Fernsehen durchaus ambivalent waren. So wurde das Fernsehen als massenmediale Manipulation und Aufforderung zur Passivität äußerst kritisch beleuchtet, zugleich diente es dazu, um die bürgerliche Hochkultur und die Erwartungshaltung des Kunstpublikums auszuhebeln. Welcher Fernsehkonsument der siebziger Jahre wollte plötzlich aus seinem allabendlichen Dämmerschlaf durch einen Kunstbeitrag wachgerüttelt werden? Und welcher Besucher wollte statt Ölbildern und modellierter Skulpturen aufgestapelten Fernsehapparaten in Museen begegnen?

In der Reflexion über das Fernsehen waren Künstler ihrer Zeit voraus. So hat der Pop-Art-Star Andy Warhol, der wie kein Zweiter die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem aufgelöst hat, mit visionären Statements wie „Jeder kann für 15 Minuten berühmt sein“ und seinen eigenen Fernsehserien Big-Brother- und Starmania-Formate vorweggenommen. Wie vorausschauend frühe medienreflexive Werke waren, spiegelt Yoko Ono und John Lennons für den ORF produzierter Film „Rape“ aus dem Jahr 1969, wo die Kamera eine junge Frau solange beharrlich verfolgt und „überwacht“, bis diese am Verzweifeln ist. Auch die vom Künstler Nam June Paik am Anfang des Videos „Global Groove“ (das 1974 auf WNET-TV gesendet wurde) formulierte Vision einer weltweiten Kommunikation im „globalen Dorf“ ist von der Realität längst eingeholt worden: „Hier bekommen Sie einen Einblick in eine neue Welt, in der Sie jeden Fernsehsender der Welt einschalten können und die Fernsehzeitschrift so dick wie das Telefonbuch von Manhatten sein wird.“

Unterschiedliche Strategien

Das Zusammenspiel von Kunst und Fernsehen realisierte sich seit Beginn des Austauschs an unterschiedlichen Orten. Eine Reihe von Künstlern ging mit ihren Werken direkt ins Fernsehen; dabei waren die Strategien, mit denen sie das Massenmedium eroberten, unterschiedlich. Oft wurden sie von engagierten Bildungskanälen eingeladen – der Sender Freies Berlin oder der ORF haben etwa Künstlerbeiträge produziert und in bestimmten Formaten gesendet. Es gab aber auch Künstler, die sich Fernsehzeit gekauft haben wie Chris Burden, der im Rahmen von Werbungen eigene Nachrichten gebracht hat und seinen Namen dabei in die Reihe berühmter Künstlernamen wie Leonardo, Michelangelo, Rembrandt, Van Gogh und Picasso stellte. Yoko Ono und John Lennon – wohl wissend, dass sie den Medien bei ihren Flitterwochen ohnehin nicht entkommen würden – luden das Fernsehen gezielt in ihre Amsterdamer Honeymoon-Suite zu einem „Bed-In“, um unter dem Motto „Make love, not war“ ihr Privatleben als Aktionskunst zu definieren.

Häufig ging es den Künstlern dabei um eine Irritation der normalen Fernsehgewohnheiten. So verwandelte Jan Dibbets Arbeit „TV as a Fireplace“ – an acht Tagen vom Sender WDR 3 zu Weihnachten 1969 gesendet – das Fernsehgerät für drei Minuten in ein Kaminfeuer. Anstelle von Nachrichten, Filmen oder Shows war unvermittelt und unkommentiert plötzlich die Entwicklung eines Feuers, von der ersten Flamme bis zum Verglimmen, zu sehen. VALIE EXPORTs Beitrag „Facing a Family“, der 1971 im Rahmen der ORF-Sendung „Kontakte“ ausgestrahlt wurde, fokussiert die soziopolitische Dimension von Fernsehkonsum schärfer. Für die Dauer von fünf Minuten sah sich das Fernsehpublikum auf dem Bildschirm einer Familie gegenüber, die passiv vor dem Fernseher saß. EXPORT packt in ihren Beitrag zudem Kritik am traditionellen Rollenbild: Der Vater konzentriert sich auf die Sportsendung, die Mutter bringt die Kinder zu Bett.

Oft wählten Künstler aber auch den umgekehrten Weg. Statt ins Fernsehen zu gehen, holten sie Fernsehapparate in den Galerie- oder Museumsraum. Pionier auf diesem Gebiet war der gebürtige Südkoreaner Nam June Paik, der 1963 erstmals unter dem Titel „Electronic Vision“ Fernsehgeräte in einer Kunstinstitution ausstellte. Die Ausstellungsbesucher der privaten Wuppertaler Galerie „Parnass“ standen erstaunt vor zwölf manipulierten Fernsehapparaten, darunter die mittlerweile zum Klassiker avancierte Arbeit „Zen for TV“. Das Bild dieses um 90 Grad gedrehten Fernsehobjekts weist höchste Reduktion aus: Es zeigt eine einzige leuchtende Linie, umgeben von Dunkelheit – und erscheint so wie ein minimalistisches abstraktes Werk.

Radikaler Wandlungsprozess

Wie vielfältig die Beziehung zwischen Kunst und Fernsehen ist, lässt sich derzeit in einer fundiert recherchierten und zugleich ansprechend gestalteten Schau im MUMOK samt hervorragender Publikation nachvollziehen. Die Ausstellung erstreckt sich zeitlich von den frühen 1960er bis in die späten 1980er Jahre – also jene Zeitspanne, in der das Fernsehen das dominierende Massenmedium schlechthin war. Für den Kurator der Schau Matthias Michalka ist das Thema derzeit gerade so besonders spannend, weil das „Massenmedium Fernsehen momentan einen radikalen Wandlungsprozess durchläuft und dabei ist, seinen privilegierten Status als kulturelles Leitmedium an das Internet abzutreten. Traditionelle Formen des Fernsehens wirken mittlerweile veraltet und deren Verschränkung von Ökonomie und Politik, Nachrichten und Unterhaltung, Privatem und Öffentlichem erfährt durch Youtube, Livestreams und Video on Demand sowie durch die Übertragung auf Laptops und Mobiltelefone eine grundlegende Neubewertung.“ Es sei also ein „günstiger Zeitpunkt“, so Michalka, um heute „nochmals an die an das Fernsehen ursprünglich geknüpften Utopien und Verheißungen zu erinnern, nochmals die damit verbundenen Befürchtungen und Vorwürfe zu hinterfragen“.

Changing Channels. Kunst und Fernsehen

MUMOK, Museumsplatz 1, 1070 Wien

bis 6. Juni, Mo–So 10–18, Do bis 21 Uhr

Katalog, hg. von Matthias Michalka, MUMOK, Köln 2010, 293 S., e 39,90

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