Kunst mit frischem Forschergeist

Werbung
Werbung
Werbung

Inwiefern können Künstler zum Erkenntnisgewinn in der Gesellschaft beitragen? Eine kulturwissenschaftliche Tagung in Wien beleuchtete das neue Zauberwort der "Künstlerischen Forschung“, das derzeit heftig diskutiert wird - und mit großen Erwartungen verbunden ist.

Die Welt der Quantenphysik zählt zu den mysteriösesten Konzepten der Wissenschaft. Und diese paradoxe Welt galt bislang als unanschaulich. Denn die Beschreibung von Quantenphänomenen bewegte sich auf einer rein abstrakten Ebene, und blieb damit dem inneren Auge der eingeweihten Experten vorbehalten. Diesem Problem hat sich das "Quantenkino“ angenommen: ein Projekt, das mittels digitaler Kunst versucht, die Konzepte zur Beschreibung von Quantenphänomenen zu veranschaulichen. Die vom Team des "Quantenkinos“ entwickelte digitale Geometrie in 3D-Animation erlaube es, bisher als unvorstellbar geltende Raumdimensionen visuell zu erschließen und somit erfassbar zu machen, so die Projektbeschreibung.

Das "Quantenkino“ versteht sich nicht nur als Kunst. In der erstmaligen Darstellung höherer Dimensionen in filmischen Abläufen atmet auch eine Art von "Forschergeist“: Denn Bilder sind heute oft eine Voraussetzung für die Fortsetzung von Forschungsfragen, und Visualisierung kann den Nährboden für neue Ebenen wissenschaftlicher Theorien bereiten. Das "Quantenkino“ ist eines der Beispiele künstlerischer Forschung, die bei der unlängst zu Ende gegangenen Ausstellung "Out of the Box“ im Museum für Angewandte Kunst in Wien präsentiert wurden. Das Zauberwort der "künstlerischen Forschung“ ist heute eines der großen Themen an den internationalen Kunstuniversitäten - und stößt, wie die Wiener Ausstellung gezeigt hat, auch außerhalb der Fachwelt auf wachsendes Interesse.

Praktiken der Erkenntnis

Was aber ist unter künstlerischer Forschung eigentlich zu verstehen? Wie soll man die Synergien von Wissenschaft und Kunst am besten ausloten? Und haben die Künste nicht schon immer auf ihre Weise geforscht? Diese Fragen, die derzeit an Kunstinstitutionen besonders heftig diskutiert werden, bildeten kürzlich den Ausgangspunkt für einen Workshop am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien. "In den letzten Jahren ist es trotz einer Rhetorik der Vermischung eher zu einer hierarchisierenden Aufspaltung zwischen Theorie und Praxis gekommen anstatt zu einer wechselseitigen Befragung unterschiedlicher Erkenntnispraxen“, konstatierte Karin Harrasser von der Kunstuniversität Linz. Die Kulturwissenschafterin verwies darauf, dass auch Lesen, Schreiben und selbst das philosophische Denken als Praxis zu verstehen sind - und umgekehrt künstlerische Praxis immer auch aus "nachdenklichen, forschenden und experimentellen Anteilen“ besteht, dass also in den Künsten "sehr wohl Erkenntnisformen eingelagert sind“.

Tatsächlich hat die Praxis künstlerischer Forschung weit reichende Wurzeln, der Begriff selbst wurde erst in jüngster Zeit geprägt. "Ich male nicht mit dem Pinsel, sondern mit dem Kopf“, soll etwa der italienische Universalgelehrte Leonardo da Vinci gesagt haben, der in seinem einzigartigen Werk Bildende Kunst, Anatomie, Mechanik und Naturphilosophie zu verbinden verstand. Die modernen Wissenschaften sind aus der mittelalterlichen "Artistenfakultät“ hervorgegangen, in der das Streben nach wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn noch als künstlerische Tätigkeit betrachtet wurde. In der historischen Entwicklung haben die Wissenschaften den Begriff der Forschung dann zunehmend für sich monopolisiert.

Wissenschaftliche Forschung, so eines der Argumente in der Debatte zur künstlerischen Forschung, sei durch strenge Objektivität, Rationalität und Systematik gekennzeichnet, die Kunst hingegen durch Subjektivität, Emotionalität und Intuition. Aber dass die Intuition bei bahnbrechenden Forschungsleistungen eine wesentliche Rolle gespielt hat, ist in der Geschichte der Wissenschaft mittlerweile gut dokumentiert. Und spätestens mit der Entwicklung der Quantenphysik sind auch traditionelle Kernbegriffe des wissenschaftlichen Selbstverständnisses wie die Objektivität ins Wanken geraten.

Ästhetische Grundlagenforschung

Im 20. Jahrhundert kam es immer wieder zu Wellen der Annäherung zwischen Wissenschaft und Kunst: etwa in der Zwischenkriegszeit, was große Bedeutung für die Herausbildung der Moderne hatte. Ein spezielles Beispiel ist die Allianz von Kunst und der Erforschung außereuropäischer Kulturen, wie Karin Harrasser erläuterte: ein Konnex, der vom gemeinsamen intellektuellen Milieu von Surrealisten und Ethnologen im Paris der 1920er-Jahre bis hin zum aktuellen Versuch des Frankfurter Weltkulturen-Museums führt, dieses Projekt an den Schnittstellen von Avantgarde, Ethnologie und Kunstwissenschaft wiederzubeleben.

Ein weiteres Beispiel ist die Seelenverwandtschaft von Sigmund Freud und Arthur Schnitzler: Denn der Begründer der Psychoanalyse und der schreibende Arzt wurden von demselben Erkenntnisinteresse geleitet. Und generell: Was wüssten wir eigentlich über die Eigenheiten des menschlichen Geistes und die Tiefen der Seele ohne Kunst und Literatur?

Ein Startsignal für die Etablierung der künstlerischen Forschung in Österreich war das Universitätsgesetz 2002, in dem die "Verbindung von Wissenschaft und Kunst“ in den Leitsätzen festgeschrieben wurde. Als wichtigster Impulsgeber fungiert heute das "Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste“ (PEEK), das 2009 vom Wissenschaftsfonds FWF begründet wurde, um Kunstprojekte im Sinne einer "ästhetischen Grundlagenforschung“ zu fördern.

Neue Ausbildungswege

Derzeit verzeichnet der FWF 34 entsprechende Projekte - zum Beispiel "Erkenntnis durch Kunst“, "Philosophie als künstlerische Forschung“, "Holzkunst mit Robotern in Architektur und Design“ oder "Choreo-graphische Figuren“, die experimentelle Begegnung unterschiedlicher Kunstformen wie Zeichnen, Tanzen und Schreiben.

Zudem wurden in den letzten Jahren neue Ausbildungsschienen geschaffen: An der Akademie der Bildenden Künste in Wien etwa gibt es ein eigenes Doktoratsstudium im Bereich forschungsbasierter Kunst und an der Wiener Universität für Angewandte Kunst das zweijährige Masterstudium "Art & Science“. "Wir sind mit hoher Geschwindigkeit auf einer Straße unterwegs, die uns unmittelbar vor eine Wand leitet, und nur mit Kreativität können Abzweigungen gefunden werden“, hält Universitätsrektor Gerald Bast hierzu fest. "In der Wissenschaft wie in der Kunst geht es immer um Erneuerung und Veränderung.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung