Angela Völkers Buch zur großen Teppich-Ausstellung des Museums für Angewandte Kunst. Eine der bedeutendsten Sammlungen der Welt im Bild.
Die Farben des berühmten seidenen Mamluken-Teppichs, auf dem der Großherzog der Toskana und spätere Kaiser Leopold II. steht, haben noch ihre Tiefe. Zu Füßen des gemalten Kaisers auf dem gemalten Teppich liegt letzterer ganz real. Aber die Farben sehen heute ganz anders aus. Dabei war der Teppich, neben dem "Jagdteppich" der wertvollste des Museums für Angewandte Kunst und möglicherweise der Welt, schon gut 250 Jahre alt, als Johann Zoffani den Großherzog malte. Erst in den folgenden 225 Jahren verrichtete der Zahn der Zeit sein Werk, besser: das Licht. Es sei denn, der Maler hätte die Farben retuschiert, woran man aber zweifeln darf. Niemand kann sagen, ob der einzige Seiden-Mamluk der Welt - nicht einmal ein weiteres Fragment ist bekannt - noch in k.u.k. Zeiten über viele Jahre dem Licht ausgesetzt war oder ob die Veränderung der Farben erst mit der Überführung in den Schausaal begann. Da selbst die wertvollsten Teppiche nicht zu den Kunstwerken, sondern zu den kaiserlichen Haushaltsgegenständen zählten, wurden keine Aufzeichnungen über die Verwendung geführt.
Heute weiß man, dass Tageslicht Seidenteppiche besonders schädigt. Nach wie vor kann jeder sie sehen - aber in einem schwachen Licht, das ihnen nicht schadet. Die Ausstellung "Knoten symmetrisch - asymmetrisch" im MAK ist noch bis 23. Februar zu sehen. Sie ist die größte Teppich-Ausstellung in diesem Haus seit 1891. Noch nie war ein so großer Teil der Sammlung, einer der bedeutendsten der Welt, zu sehen. Den Kern des Bestandes im Museum für Angewandte Kunst bildet die Sammlung des Hauses Habsburg mit ihrem besonders umfangreichen Bestand an orientalischen Knüpfteppichen des 16. und 17. Jahrhunderts, die nach dem Ende der Monarchie geschlossen dem Museum übergeben wurde. Sie zählt zu den bedeutendsten der Welt. Daher ist diese Ausstellung ein Ereignis von internationaler Bedeutung, auch wenn man sich dafür nicht anstellen muss und sie am Samstag sogar gratis besichtigen darf.
Der ästhetische Genuss ist auf jeden Fall sicher, doch wer über die Geschichte, Ästhetik und Symbolik dieser Kunstwerke etwas Bescheid weiss, hat auch mehr von ihrem Anblick. Dabei ist der im Vorfeld des Ausstellungsprojekts erschienene Bildband der zuständigen Abteilungsleiterin Angela Völker "Die orientalischen Knüpfteppiche im MAK" sehr hilfreich. Als erster vollständiger Bestandskatalog der Sammlung ist er ein Ereignis für sich. Jedes Stück, auch die jetzt nicht ausgestellten, wird eingehend beschrieben und ist in Farbe abgebildet, zum Teil mit Detailaufnahmen. Im Anhang des Werkes sind auch die verkauften, 1945 in Schloss Immendorf verbrannten (darunter ein Mamluken-Teppich von 1600), die ausgeschiedenen und die restituierten Teppiche katalogisiert und soweit vorhanden mit Fotos belegt: Vorbildlich! So erschließt man heute eine Sammlung! Da Teppiche, so kostbar herausragende Stücke schon vor Jahrhunderten waren und so sehr sie geschätzt wurden, nicht als eigenständige Kunstwerke betrachtet wurden, begann die wissenschaftliche Bearbeitung erst im 20. Jahrhundert. Aus diesem Grund ist auch die Geschichte selbst der bedeutendsten Teppiche im allgemeinen lückenhaft bis gar nicht dokumentiert.
Von den meisten der einzigartigen persischen und mamlukischen Teppichen des 16. und 17. Jahrhunderts weiß man nicht genau, wann sie entstanden sind und nicht, wie sie nach Wien gekommen sind. Welcher persische Herrscher den berühmten Jagdteppich wohl als Geschenk für welchen anderen Herrscher anfertigen ließ? Zwischen dem zentralpersischen repräsentativen seidenen Jagdteppich, auf dem 58 Jäger ihrer Beute nachstellen, und dem wohl ebenfalls in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstandenen seidenen Mamluken-Teppich mit seiner grandiosen geometrischen Strenge klaffen gewaltige Unterschiede der Auffassung. Hier fangen dominierende Sterne und Oktogone den Blick ein und lenken ihn zu immer kleineren und kleineren Formen, die schließlich auch für den einst auf dem Teppich stehenden Betrachter kaum mehr wahrnehmbar waren. Teppiche, ausgenommen Wandteppiche, waren ja stets Kunst zum Betreten.
Viele geben nach wie vor Rätsel auf. Für die Schiffe mit den (holländischen?) Seeleuten und die Schwimmer in den Ecken der nordostpersischen "Portugiesenteppiche" (neun gibt es auf der Welt, den qualitätsvollsten und besterhaltenen sieht man im MAK) kursieren nach wie vor die verschiedensten Deutungen.
In dieser Ausstellung kann man sich in die Kunst des orientalischen Teppichs einsehen. Für den, der seiner Faszination verfällt (und das widerfährt immer mehr Leuten), ist Angela Völkers Buch ein ausgezeichneter Einstieg.
Die orientalischen Knüpfteppiche im MAK. Von Angela Völker, Böhlau Verlag, Wien 2001, 436 Seiten, 210 Farbbilder, geb., e 95,-
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