Beute Atlas - © Bild: Bibliothèque nationale de France, Paris

Kunstraub in der Geschichte: Objekte der Begierde

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Verlust, Austausch, Verlagerung und Raub von Kunstwerken: All dies manifestiert sich im kollektiven Gedächtnis von Gesellschaften. Wie, das zeigen nun zwei Bände mit Bildern und Texten.

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Verlust, Austausch, Verlagerung und Raub von Kunstwerken: All dies manifestiert sich im kollektiven Gedächtnis von Gesellschaften. Wie, das zeigen nun zwei Bände mit Bildern und Texten.

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Bilder erzählen Geschichte. Und sie prägen den Blick. Auf einer Fotografie, die 1905/06 entstanden ist, sieht man, wie ein Öldruck, der Kaiser Wilhelm II. zeigt, an König Njoya von Bamum in der damaligen Kolonie Kamerun überreicht wird. Das Foto erzählt von einer Übergabe Aug in Aug („auf Augenhöhe“, wie man gerne sagt, um ebensolche Situationen zu behaupten). König Njoya erhält einen Öldruck, also die Kopie eines Porträts; Kaiser Wilhelm II. wird zu seinem Geburtstag von König Njoya 1908 dann dessen einzigartigen Thronstuhl erhalten, den Mandù-yénù, also das Original.

Das Foto eignet sich gut dazu, eine bestimmte Berichterstattung zu illustrieren und zu unterstreichen. Noch 2005 kann man in einem Ausstellungsführer des Ethnologischen Museums zu Berlin das gewünschte Narrativ lesen: „Das Verschenken von königlichen Hockern oder Thronen war in Kamerun ein Gestus, der mit der Aufnahme und Sicherung diplomatischer Beziehungen vergleichbar ist. Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum König Njoya von Bamum dem deutschen Kaiser 1908 diesen Thron schenkte. Njoya wollte seine Beziehungen zur deutschen Kolonialmacht unterstreichen und seine eigene Position als – gleichwertiger – Bündnispartner verdeutlichen.“

Langlebige Erzählungen

Dieses Beispiel findet sich in dem Band „Beute. Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe“ und zeigt, wie lange sich die gewünschten Narrative halten und dass sie immer noch weitergereicht werden. Diese Erzählung verschleiert jedoch, so SebastianManès Sprute in seinem Beitrag über das erwähnte Foto, „die tatsächlichen historischen Begebenheiten“, derer man ansichtig wird, wenn man in die Quellen schaut. Denn König Njoya war keinesfalls „auf Augenhöhe“ mit der deutschen Herrschaft, sondern ihr bereits seit 1902 unterworfen. Zudem, man ahnt es schon, galt der Thronsessel als besonderes Prestigeobjekt. Jahrelang hatte König Njoya es abgelehnt, den Stuhl, auf dem schon sein Vater gesessen war, den Deutschen zu übergeben; er wollte, um ihrem Begehr zu entsprechen, eine Kopie davon anfertigen lassen und diese dann den Deutschen überreichen. Allein, die Kopie war zum Geburtstag des Kaisers nicht rechtzeitig fertig geworden, und so überließ ihm Njoya schließlich doch das Original. Der Mandù-yénù steht noch heute in Berlin. Die Quellen widerlegen die Erzählung, die seit hundert Jahren über die Übergabe verbreitet wird. „Es war eine geraubte Gabe, ein unfreiwilliges Vermächtnis.“ So formulieren es die Nachfahren Njoyas.

Interdisziplinäre Suche

Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe aus den Bereichen Archäologie, Ethnologie, Geschichts-, Literatur- und Kulturwissenschaft trug an der Technischen Universität Berlin Bilder aus unterschiedlichen Zeiten und Kulturen zusammen, über „Expansionspolitiken antiker Reiche, mittelalterlichen Reliquienraub, wissenschaftliche Expeditions- und Grabungskampagnen, koloniale Sammelwut oder den NS-Kunstraub“. Sie fragte: „Wer schreibt Geschichte? Und wie wurden die (Kunst-)Gegenstände in den Bildern zu Objekten der Begierde?“ Sie erforschte, „welche Bildlogiken und visuellen Argumentationsmuster über Kulturräume und Zeitschichten hinweg Bestand hatten und haben“, und: „Wie manifestieren sich Verlust, Austausch und Verlagerung im kollektiven Gedächtnis von Gesellschaften?“ Denn, so die Herausgeber, die „Verlagerung von materiellen Zeugnissen einer Kultur, ihre buchstäbliche Trans-Lokation, geht mit einer Transformation ihrer selbst und der mit ihr verbundenen sozialen Körper einher“. Das Rauben von Kunst macht etwas aus den Beraubten und aus den Räubern und ihrer Kultur.

Es verwundert nicht, dass viele Bilder „das lange für selbstverständlich erklärte Recht eines Siegers“ erzählen, „vom Besiegten Beute zu nehmen“. Aber der Band, der Zeugnisse vom assyrischen Relief bis zu zeitgenössischen Comics und Karikaturen samt jeweils dreiseitigen Texten bietet, verblüfft doch, weil er so deutlich macht, wie sehr über Jahrhunderte gewachsene und weitergereichte Bildmotive unser Verständnis, unsere Anschauungen prägen – etwa das Motiv des Triumphzuges, um nur eines zu nennen, das so vertraut wirkt, dass man oft gar nicht mehr darüber nachdenkt, was man da eigentlich sieht.

Geordnet haben die Herausgeber die Bilder nach Paaren aus Verben, um damit deutlich zu machen, dass es sich um menschliche Aktionen mit konkreter Wirkung handelt. Nehmen, transportieren: Man sieht, wie Kulturgüter mit enormem menschlichen und technischen Aufwand von hier nach dort verbracht werden, man sieht jene schleppen und tragen, die gerade beraubt werden. Ankommen, aneignen; tauschen, handeln; fehlen, gedenken.

Protestieren, fordern: Hier finden sich auch politische Karikaturen wie jene des nigerianischen Künstlers Ganiyu „Jimga“ Jimoh von 2010, der zwei vermenschlichte Benin-Skulpturen zeigt, samt Schild: „Africans illegally in Europe must leave. African objects illegally in Europe must stay.“ Oder der Cartoon aus dem The New Yorker von Caitlin Cass. Man sieht eine Gruppe Kinder im Museum, und die Begleitperson sagt: „Now we’re leaving the hall of stuff we stole from other cultures and entering the hall of stuff we paid too much for.“ („Wir verlassen nun den Saal mit dem Zeug, das wir anderen Kulturen gestohlen haben, und betreten den Saal mit dem Zeug, für das wir zu viel bezahlt haben.“)

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