Kunstvolle Entgrenzung

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Biochemische Prozesse als kreatives Ausdrucksmittel setzt der österreichische Künstler Thomas Feuerstein ein. Die Installation zwischen Kunst und Naturwissenschaft läuft noch bis 10. Mai.

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Biochemische Prozesse als kreatives Ausdrucksmittel setzt der österreichische Künstler Thomas Feuerstein ein. Die Installation zwischen Kunst und Naturwissenschaft läuft noch bis 10. Mai.

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Das Labor, das sich Thomas Feuerstein für rund zwei Monate im Taxispalais einrichten durfte, ist nicht übel. Ist das Ambiente doch nobel - die Räume sind groß und teilweise sehr hoch, was dem experimentellen Kunst-Kocher viele Möglichkeiten der Entfaltung lässt.

Konkrete biochemische Prozesse sind die Basis der Kunst des 47-jährigen, in Wien lebenden Innsbruckers, der sich selbst als Bildhauer mit einem Hang zum Literarischen versteht. "Psychoprosa" nennt er seine die gesamte Galerie vereinnahmende Installation, die ein reizvoller Zwitter aus Skulpturalem und naturwissenschaftlicher Versuchsanordnung ist.

Gläserne Destillationsapparate

Miteinander vernetzt sind die speziell für Feuerstein gebauten, teilweise riesigen gläsernen Destillationsapparate, die sich wie von Geisterhand öffnenden und schließenden Kühlschränke, sich drehenden Kolben und Zylinder und die rund zwei Kilometer unterschiedlich dicken Schläuche, durch die geheimnisvolle Flüssigkeiten pulsen.

Was sich hier tut, sind im Wesentlichen konkrete naturwissenschaftliche Abläufe. Im galeristischen Raum 3, den Feuerstein in ein "Gewächshaus" verwandelt hat, wachsen in gläsernen Zylindern Pilze und Algen, aus denen in weiteren Stufen komplexer biochemischer Prozesse ein Halluzinogen synthetisiert wird. Die restliche Biomasse verdichtet sich in einer in der galeristischen Hofhalle eingerichteten "Fabrik" schließlich durch Erhitzen, Kühlen und Rühren zu einem zähen Schleim: um aus dem bisher geschlossenen System zu tropfen, zu rinnen, mit einem unnachahmlichen Geräusch auf den Boden zu flutschen.

Innen- und Außenwelt erfahren auf diese Weise eine surreale Auflösung, zu lesen vielleicht als Metapher für die psychotrope Wirkung halluzinogener Substanzen bzw. die zunehmende gesellschaftliche Entgrenzung unserer Welt.

In dieser eindrucksvollen Installation tobt sich nicht etwa ein Hobby-Chemiker aus, sondern benützt ein ebenso naturwissenschaftlich interessierter wie philosophisch versierter Bildhauer Versatzstücke aus Laboratorien, um ganz aktuelle Fragen der Ökologie aufzuwerfen, etwa wie zukünftig die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren sein wird.

Formal ambivalent und komplex

Viele Details der Schau drängen Assoziationen der unterschiedlichsten Art auf, andere bleiben ein Rätsel. Wenn etwa Schopenhauers gesammelte Werke von einem Pilz dekorativ durchsetzt werden oder in die wandfüllend aufgeblasene Struktur des scheinbar von Feuerstein gefundenen halluzinogenen chemischen Elements das Gesamtwerk von Howard Phillips Lovecraft, dem Erfinder anspruchsvoller amerikanischer Horrorliteratur, eingeschrieben ist - allerdings fast unlesbar reduziert zur Struktur, zum grafischen Muster.

Feuersteins Faible für das Zweidimensionale zeigt sich auch in einer Reihe älterer, an die Wände der Taxisgalerie gehängter Lithografien. Sie erzählen keine lineare Geschichte, sind auch formal ambivalent. Erinnern in ihrer Akribie einmal an Illustrationen aus wissenschaftlichen Büchern des 19. Jahrhunderts, dann wieder an Comics oder Popartistisches. Was die durchwegs schwarzweißen Blätter verbindet, ist ihr Kreisen um Maschinen und lebendige Organismen, um Fakten und Fiktion, exakt Wissenschaftliches und bizarr Spekulatives. Was sich auch in dem im galeristischen Kinoraum vorgeführten Hörspiel fortsetzt. Das wie eine normale Beziehungskiste beginnt, um bald ins skurril Utopische zu kippen.

Thomas Feuersteins "Psychoprosa" kann man, muss man aber in ihrer ganzen Komplexität nicht verstehen, um trotzdem die Ausstellung genießen zu können. Denn die dort aufgebauten Apparaturen sind wunderschöne skulpturale Objekte. Dieses ästhetische Moment ist dem Künstler auch sehr wichtig, das raffinierte Spiel mit Formen, die bisweilen fast sinnlich daherkommen, formuliert zum größten Teil in Glas und somit in einem Material, das in seiner Durchsichtigkeit und Zerbrechlichkeit das Wesen des Skulpturalen ad absurdum führt. Letztlich kunstvoll entgrenzt, womit wir wieder beim Thema wären.

Thomas Feuerstein: Psychoprosa

Innsbruck, Galerie im Taxispalais

bis 10. Mai, Di-So 11-18 Uhr, Do -20 Uhr

www.galerieimtaxispalais.at

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