Land der Zeichner

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"Die Kunst der Linie" - ein Gemeinschaftsprojekt oberösterreichischer Kunstinitiativen.

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"Die Kunst der Linie" - ein Gemeinschaftsprojekt oberösterreichischer Kunstinitiativen.

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Die handschriftliche Linie ist der Ursprung beinahe aller überlieferter Kunst. Der Unterschied zwischen Schrift, Bild und musikalischen Zeichen zeigt sich in der Art der Linienverwendung. Der Zeichner formt aus der Linie figurale oder abstrakte Äußerungen, der handschriftlich arbeitende Dichter entgrenzt sie zu Buchstaben und bringt seine literarischen Formulierungen damit aufs Papier. Der Komponist fixiert mittels Linien seine Töne. Zugegeben: Das ist eine relativ altmodische Arbeitsvariante in Zeiten der Neuen Medien. Dennoch sind damit zentrale Gedanken über die Eigenheit der Künste verbunden.

Denkt man nach über die "Kunst der Linie", so der Name eines Gemeinschaftsprojekts oberösterreichischer Kunstinitiativen im Herbst 1999, so befindet man sich somit inmitten der Mediendiskussion. Besonders spannend wird es, wenn auf einem Blatt Schriftzeichen, Bildzeichen und musikalische Spuren zusammenkommen. Wenn Musik, Literatur und bildende Kunst sich gegenseitig überlagern und den Reiz der jeweiligen Disziplin sichtbar machen.

Dies dachte sich auch vor drei Jahren der oberösterreichische Künstler Gerhard Brandl, als er das Projekt "Zeichensetzung" initiierte. Er zeichnete 26 achtteilige Serien und verschickte sie an Schriftsteller und Komponisten mit der Bitte, darauf zu dichten oder zu komponieren. Das Ergebnis kann sich mit seinem interdisziplinären Ansatz und der beabsichtigten Kooperation mehrerer Kunstschaffender international sehen lassen, wie eine Ausstellung in der Linzer Galerie Maerz zeigte. Nicht nur die Idee, sondern auch die bildlichen Ergebnisse beeindrucken. Etwa ein Blatt, auf das Gerhard Brandl mit tiefschwarzen Kohlestrichen zeichnete und das später von einer türkisen, kreisartigen Partitur Olga Neuwirths überlagert wurde. Schließlich hat der Lyriker Matthias Goldmann auf die grafische und musikalische Struktur des Blattes reagiert, indem er darauf schrieb: "bin ich alleine, höre ich lauter reden vor dem einschlafen, zum beispiel wenn ich nicht darauf achte, wer gerade spricht und wer hier zwischen tür und angel ..."

Brandls "Zeichensetzung" ist nur eines von 40 Einzelevents des Gemeinschaftsprojekts "Die Kunst der Linie". Den ganzen Herbst haben sich so gut wie alle Kulturinitativen Oberösterreichs diesem Motto gestellt. Auch wenn darunter Unterschiedliches verstanden wird, ist das Thema kein Beliebiges. Denn Oberösterreich ist nicht erst seit Alfred Kubin zu einem Ballungszentrum der Zeichenkunst geworden. Bis heute wird gerne von der besonderen Qualität oberösterreichischer Zeichenkunst gesprochen. Etwa wenn man die leichten Linien - im Zwischenfeld von Figuralität und Abstraktion - des jungen Zeichners Lorenz Estermann charakterisiert, dessen neueste Arbeiten in der Galerie Figl zu sehen sind.

Die größte Ausstellung des Projekts präsentiert schließlich die Oberösterreichische Landesgalerie. Über 170 Blätter von beinahe ebenso vielen österreichischen und internationalen Künstlern wurden zu einer Überblicksschau vereint. Die nicht unbedingt überzeugende thematische Präsentation nach sechs Bereichen "Raum", "Fläche", "Körper", "Material/Konzept", "Schrift" und "Erzählung" ändert nichts an der Vielfalt der hervorragenden Arbeiten.

Alle nur denkbar möglichen Entgrenzungen der Linie findet man hier. Der Gang durch die Ausstellung führt den Betrachter vorbei an abstrakten Arbeiten eines Brice Marden, an Skizzen Rudolf von Alts bis zu Bild-Gedichten von Winfried Gaul. Dabei scheint die Nebeneinanderstellung von Blättern aus unterschiedlichen kunsthistorischen Epochen geglückt. Besonders spannend präsentiert sich der Bereich "Schrift", der einen Bogen zu Brandls "Zeichensetzung" spannt. Auch in den Schrift-Text-Blättern von Anselm Glück, Eva Schlegel und Lawrence Weiner geht es um den Dialog von Schrift und Bild, ein Moment, das zu einem der entscheidensten Merkmale der Kunst und Literatur dieses Jahrhunderts wurde.

Die Ausstellung macht deutlich, daß gerade die unspektakuläre Kunst der Linie uns Blätter vergangener Jahrhunderte manchmal moderner scheinen läßt als große Ölgemälde oder Deckenfresken. Dies mag daran liegen, daß die Zeichenkunst immer als das unmittelbarste Medium der Künstler verstanden wurde. Oft nicht zum Ausstellen gedacht, finden sich in fragmentarischen Skizzen intime Sichtweisen eines Künstlers, die einem offizielle Werke verweigern. Auch weisen die offenen Strukturen mitunter auf kommende Stile voraus, die innerhalb anderer Kunstgattungen erst wesentlich später verwirklicht werden.

Die Kunst der Linie -Großprojekt mit Ausstellungen in Oberösterreich.

In Linz machen unter anderem mit: Galerie Maerz, Am Taubenmarkt, Landstraße 7; Galerie Figl, Dinghoferstraße 44; Nordico - Museum der Stadt Linz, Dametzstraße 23.

Koordination und Auskünfte: Landesgalerie Oberösterreich, Museumstraße 14, 4010 Linz, Tel (0732) 774482-49

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