Landschafts-Akupunktur

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Zu einem Hochwasserschutz im Einklang mit der Natur haben sich die Betreiber eines Projektes im obersteirischen Mürztal entschlossen. Sie arbeiten nicht gegen das Wasser, sondern mit ihm.

In der größten zusammenhängenden Au des Mürzflusses wurde im Frühjahr 1997 mit der Verwirklichung eines Hochwasser-Schutzprojektes begonnen. Grund waren mehrere unheilvolle Hochwässer in den Jahren zuvor. Doch anstatt dem Wasser mit (Beton-) Rückhaltebecken oder Regulierungsmaßnahmen den Kampf anzusagen, wurde bei der von der Gemeinde Langenwang betriebenen Maßnahme auf das "innere Wesen" des Wassers Bedacht genommen.

Und die Projektsverantwortlichen der Baubezirksleitung Bruck an der Mur hatten Erfolg: Während die bislang letzten zwei Hochwässer im Juli 1997 und im März 2002 im gesamten Mürztal größere Schäden anrichteten, blieb die Umgebung der Au weitgehend verschont. So wurden die am Rande gelegenen Häuser ebenso wenig überflutet wie die angrenzende Gemeindestraße, und eine gefährdete Eisenbahnbrücke der ÖBB konnte (vor allem beim extremen Hochwasser 1997) gesichert und ein möglicher hoher Schaden abgewendet werden.

Inzwischen umfasst das Gebiet etwa 21 Hektar, gehört der Republik Österreich und verbessert auch als Rückhaltefläche den Hochwasserschutz für die flussabwärts gelegenen Gemeinden. Zusätzlich zielten alle Maßnahmen darauf ab, die Pflanzen- und Tierwelt rund ums Wasser aufleben zu lassen. Auch der soziale Aspekt kam nicht zu kurz: Ein Teil der Au wurde durch Geh- und Radwege zugänglich gemacht.

Von innen her regulieren

"Wasser kann man nicht meistern", betont Projektbetreuer Otmar Grober von der Baubezirksleitung Bruck an der Mur und wehrt sich damit auch gegen die ihm gerne verliehene Bezeichnung "Wassermeister". "Vielmehr möchte ich nur Wasserwegbegleiter oder Wasserunterhalter sein." Als Grundlage für seine Arbeit haben ihm die Erkenntnisse des oberösterreichischen Försters Viktor Schauberger gedient. "Einen Fluss reguliert man nicht von seinen Ufern aus, sondern von innen her, vom fließenden Medium selber", sagte Schauberger, der schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eindringlich vor den Folgen der Flussbegradigung gewarnt hatte.

Ganz in diesem Sinne arbeitet auch Grober. So ordnete er beispielsweise an mehreren Stellen im Fluss Blocksteine nach bestimmten Systemen an, um die Strömungsgeschwindigkeit im Sinne des Gewässers zu beeinflussen: In der Gewässermitte wird sie erhöht, am Außenufer verringert.

So können auf der einen Seite Uferzerstörungen und auf der anderen Seite Schotterbänke, die unter Umständen auch mit Baggern geräumt werden müssen, vermieden werden. Am strömungsschwächeren Flussufer ergeben sich Laichmöglichkeiten für Fische. Wenn eine Ufersicherung nötig erschien, wurde sie ganz im Sinne des naturnahen Wasserbaus mit Holz und Wurzelstöcken aus dem Auwald durchgeführt und auf massive Steinverbauungen weitgehend verzichtet.

Zum Fluss gehören Mäander

Vor einigen Jahrhunderten seien solche Maßnahmen schon deshalb nicht nötig gewesen, da sich Flüsse ihren eigenen Lauf suchen konnten, verweist Grober darauf, dass die Menschen in der jüngeren Vergangenheit beispielsweise zum Zwecke der Siedlungs- und Ernährungssicherheit Flüsse in andere, meist geradlinigere Bahnen gezwängt hatten. "Doch jeder Fluss will sich immer in Mäandern bewegen" - also durch die Landschaft schlängeln, erklärt der "Wasserwegbegleiter".

Die Kurvenbewegungen nutzt Grober auch dazu, um bei Hochwasser die Fließgeschwindigkeit zu "harmonisieren", wie er es nennt. Dort, wo im Falle des Falles die Hochwässer talabwärts strömen, hat man ihnen zusätzliche Flussbetten gegraben, die sich immer wieder mit der Mürz kreuzen. Aus der Vogelperspektive sieht das Ganze"wie eine DNA-Spirale" aus. Auch unmittelbar vor der gefährdeten Bahnbrücke erfolgt eine solche Kreuzung.

Damit erreicht man, dass bei Hochwässern die Wassermassen nicht mit hoher Geschwindigkeit punktförmig auf die Brücke zuschießen, sondern etwas gemächlicher und auf eine größere Fläche verteilt, gefahrlos unter der Brücke durchfließen.

"Durch das Hochwasserprojekt wurde die Überflutungsgefahr minimiert", erklärt auch Franz Potocsnyek, Brückenbaubearbeiter der Fahrweg-Regionalleitung des Bahnhofes Leoben. "Die Lagerkonstruktion der Brücke ist sehr filigran und bei einem großen Hochwasser hätte es zu Verklausungen kommen können. Wir hätten umfangreich sanieren und die Südbahn wochenlang sperren müssen."

Dem Fluss den Weg leiten

Besonders wichtig ist für Grober auch, dass im Hochwasserfall alle Flussarme frei bleiben. Um dies zu gewährleisten, verwendet er unter anderem Strömungslenkorgane in Holz und Stein, um dem Hochwasser-führenden Fluss den Weg zu leiten. Auch wurde ein in diesem Gebiet befindliches altes Flusskraftwerkwehr vom Kraftwerksbetreiber in der ursprünglichen Holzbauweise wiedererrichtet.

Dieses fügt sich nicht nur formschön in die Landschaft ein, sondern öffnet die Schleusen für das Hochwasser weit früher als moderne Laufkraftwerke. "Das angrenzende Augelände wird bewusst in das Hochwassergeschehen zur Wasseraufnahme miteinbezogen und dadurch Hochwasserspitzen im Unterlauf abgeschwächt", erklärt Grober.

Im Einvernehmen mit dem Kraftwerksbetreiber baute man einen Fischaufstieg ins Gelände, der aber eher an einen lebendigen Bach erinnert. Die Stufen wurden so angelegt, dass die Fische überall schwimmend den Oberlauf erreichen können und nirgends springen müssen. Bäume und Sträucher wurden über den Wasserlauf gelegt, sodass die Fische nicht den Wasservögeln wehrlos ausgesetzt sind. Spezielle Steine aus dem Gebiet sorgen dafür, dass das Wasser verwirbelt wird. "Damit wird es nicht nur kühler und energetisch hochwertiger, sondern auch naturrichtig bewegt", erklärt Grober.

Darüber hinaus wurde ein ständig durchflossener Seitenarm neu geschaffen. Die Ufer wurden unterschiedlich ausgestaltet, sodass eine Vielfalt von ökologischen Strukturen entstanden ist: So dient eine Steiluferzone im Lehmschlag verschiedenen Vogel- und Insektenarten als Brut- und Nistplatz und flache Uferzonen den Amphibien als Schutz. "Sogar Eisvögel, die als Indikator für eine einwandfreie Natur gelten, konnten schon gesichtet werden", zeigt sich Grober stolz.

In jeder Hinsicht "hochzufrieden" ist auch der Langenwanger Bürgermeister Hans Kraus: "Es ist eine tolle Sache, was sich in der Natur getan hat. Jeder Mensch hat freien Zutritt, es gibt keine Verbotstafeln und trotzdem versündigt sich niemand."

Er verweist auf die intensive Betreuung der Au durch die ansässige Hauptschule, deren Schüler unter anderem bereits 500 seltene, früher in der Region heimische Bäume gepflanzt oder eine besondere "analemmatische" Sonnenuhr am Gelände konstruiert haben. Sogar ein "Freiluftklassenzimmer" steht inmitten der Aulandschaft zur Verfügung. Und vor allem sei es wichtig, dass "sich die Mürz jetzt austoben kann", erklärt Kraus.

Mehr Mut, mehr Demut

Hat Grober mit dieser Art des - bereits mehrfach ausgezeichneten - ökologischen Hochwasserschutzes eine neue Ära im Wasserbau eingeleitet? Er selbst glaubt fest daran und rät jedem Flussbauer zu "mehr Mut und Demut". Bei solchen Projekten sei es wichtig, alle wechselseitigen Einflüsse zu betrachten und durch gezielte Eingriffe an bestimmten Punkten auch die umliegende Region "mitzuheilen".

Dementsprechend bezeichnet Grober seine Tätigkeit auch als "Landschafts-Akupunktur". Und er erinnert an eine der Kernaussagen von Viktor Schauberger: "Wir müssen die Natur zuerst kapieren und sie dann kopieren."

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