Lange Geschichte der Diskriminierung

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Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte sind die Schwerpunkte des Sozialwissenschaftlers Franz X. Eder - und dazu gehört auch die Geschichte der Sexualität in all ihren Formen.

Franz X. Eder lehrt am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, ist Autor des Bandes "Homosexualitäten“ (s.u.). Hubert Christian Ehalt im Gespräch mit Franz X. Eder:

H. C. Ehalt: Gab es einen besonderen Grund, warum gerade jetzt ein solcher Band verfasst wurde?

Franz X. Eder: Bisher fehlte zur Geschichte der Homosexualitäten von 1870 bis 1970 ein komprimierter Überblick über den Forschungsstand in Österreich und Deutschland - zu den Diskursen über Homosexualität wie zu den Lebens- und Verfolgungswelten von Schwulen und Lesben.

H. C. Ehalt: Warum genau dieser Zeitraum?

Eder: Es handelt sich dabei um das "klassische Zeitalter“ der Homosexualität, in dem gleichgeschlechtlich liebende, begehrende und handelnde Menschen eine eigene Wesensart und Identität zugesprochen bekamen und diese teilweise auch als Identifikationsangebot an- und übernahmen. Am Beginn dieses Zeitraumes, nämlich 1869 wird der Begriff Homosexualität erfunden, am Ende, nämlich 1971 wird das Totalverbot gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen in Österreich abgeschafft und damit endet auch die direkte Verfolgung.

H. C. Ehalt: Stammen aus dieser Zeit auch Begriffe wie "schwul“ und "lesbisch“?

Eder: Die sind teilweise um einiges älter: "Schwul“ wurde im 17. Jahrhundert aus dem Niederdeutschen für "drückend heiß“, ins Hochdeutsche übernommen und im 19. Jahrhundert synonym mit "Warmer“ oder "warmer Bruder“ verwendet. Ähnlich erfolgte dies mit dem Wort "lesbisch“, das auf die Bewohnerinnen der Insel Lesbos verweist, auf der in der Antike die Dichterin Sappho lebte und Verse über die Frauenliebe verfasste.

H. C. Ehalt: Und woher kommt die Bezeichnung "Warme“?

Eder: Die Etymologie diese Begriffes ist spannend, dazu existieren unterschiedliche Thesen: Im 18. Jahrhundert wird "warm“ noch allgemein für enge Männerfreundschaften bei heterosexuellen Männern verwendet. Seit dem Ende des Jahrhunderts stehen diese allerdings im Geruch, womöglich auch erotische und sexuelle Kontakte zu beinhalten. Um einiges weiter zurück reicht die Erklärung, wonach die "Wärme“ vom Feuertod der sogenannten "Sodmiten“ herrührt - wie Männer, die Sex mit anderen hatten, im Mittelalter genannt wurden. Entsprechend der antiken Humoralpathologie, die ja bis ins 17. und 18. Jahrhundert Bestand hatte, könnte der Begriff auch mit der Vorstellung zu tun haben, dass diese Männer zu viel Blut, Energie und eben Wärme besitzen und deshalb übersexualisiert sind und auch mit Personen des eigenen Geschlechts Sex haben.

H. C. Ehalt: Im Buch werden Diskurse über die Homosexualität thematisiert, was ist darunter alles zu verstehen?

Eder: Im Buch geht es um Diskurse, also um Aussagen - eigentlich um Aussageordnungen -, welche die "Eigenart“ gleichgeschlechtlich begehrender Menschen definierten und zu beeinflussen versuchten. Im 19. und 20. Jahrhundert haben sich viele Gruppen dazu geäußert: darunter besonders Juristen, Politiker, Mediziner, Psychiater, Sexualwissenschaftler, (Sexual)Reformer, Kleriker, Kulturkritiker, Vertreter der Emanzipationsbewegung, Autobiografen und diejenigen, die vom Strafgesetz betroffen waren und sich dagegen wehrten. Insgesamt haben sich deutlich mehr Männer als Frauen zur gleichgeschlechtlichen Begierde zu Wort gemeldet.

H. C. Ehalt: Welche Bedeutung hatte die Emanzipationsbewegung?

Eder: Eine sehr große, denn Schwule und Lesben habe sich nicht nur gegen die Bestrafung, Stigmatisierung und Ausgrenzung gewehrt, sondern auch versucht, das Denken über die Homosexualität bzw. die Homosexuellen positiv zu verändern, mit Folgen für die Fremd- und Selbstwahrnehmung sowie für deren rechtlichen und gesellschaftlichen Status.

H. C. Ehalt: Welche Auswirkungen hatte die Diskussion auf die "Betroffenen“?

Eder: Im Diskurs erschienen die gleichgeschlechtlich begehrenden Männer und Frauen zumeist als eine eigene, recht spezifische Menschenart - etwa als drittes Geschlecht. Das führte dazu, dass viele dieser Männer und Frauen sich selbst ebenfalls als Menschen mit bestimmten Eigenarten wahrnahmen und ihre Persönlichkeit und ihren Charakter im Zeichen der sexuellen Orientierung definierten.

H. C. Ehalt: Schwule und Lesben waren also nur Diskursobjekte?

Eder: Nein, das kann man so sicherlich nicht sagen, denn in der Lebenspraxis wurde ihre individuelle Erfahrung ja durch ganz unterschiedliche Faktoren geprägt - etwa durch die geschlechterspezifische Erziehung in der jeweiligen Schicht, durch die Werte und Anforderungen des beruflichen Umfelds oder durch die jeweiligen Liebesideale und Familienvorstellungen der Zeit.

H. C. Ehalt: Darüber wissen wir allerdings recht wenig Bescheid …

Eder: … ja, weil gleichgeschlechtlich Begehrende als Personen in historischen Quellen vor allem dann auftauchen, wenn sie in die Fänge von Justiz und Polizei gerieten oder sich in Schriften und Organisationen gegen eine Benachteilung und Verfolgung wandten. Über die ganze Breite und Vielfalt schwuler und lesbischer Lebenswelten wissen wir nur aus wenigen, autobiografischen Quellen Bescheid - da ist in Österreich noch einiges an Forschungsarbeit nötig.

H. C. Ehalt: Es gibt immer weniger Personen, die aus ihrer eigenen Erfahrung etwa über die NS-Verfolgung und deren Fortsetzung in der Nachkriegszeit berichten könnten.

Eder: In der NS-Zeit hat sich die Strafverfolgung deutlich verschärft. Im Deutschen Reich nahm sie nach der Ermoderung des SA-Führers Ernst Röhm 1934 zu. In Österreich wurden 1938 die entsprechenden Behörden ebenfalls etabliert und die Verfolgung stieg sprunghaft an. Berühmt-berüchtigt war in Wien die Gestapoleitstelle am Morzinplatz. Insgesamt wurden während der NS-Zeit rund 6000 Homosexuelle getötet, rund 50.000 Personen kamen ins Gefängnis und rund 90.000 wurden von der "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“ registriert. Wobei bei den Frauen die Zahlen sicher unterschätzt sind, da sie meist wegen anderer Delikte verurteilt wurden - etwa als Asoziale oder Prostituierte.

H. C. Ehalt: Die Verfolgung ging in der Nachkriegszeit weiter?

Eder: Ja, das ist noch immer ein verleugnetes und unterbelichtetes Kapitel der österreichischen Geschichte: Nach dem Krieg ignorierten die Politik und die Kirche die NS-Verfolgung, es kam zu keiner Anerkennung des Opferstatuts, geschweige denn zu finanziellen Entschädigungen und anderem. Der Strafparagraph 129 blieb bis 1971 in Kraft und führte zu neuerlichen Verhaftungen und Verfolgungen. In den Nachkriegsjahren herrschte weiter ein Klima des Versteckens und der Geheimhaltung, das Sprachlosigkeit in Hinblick auf Vergangenheit und die erlittenen Qualen beinhaltete. Hier sollte nicht nur die Forschung tätig werden, sondern auch die Politik.

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