Langer Weg Österreichs zur Demokratie

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Manches an der alltäglich gewordenen Politik wirkt, als wäre es auf permanente Demoskopie und Massenmedien angelegt. Davor hat Manfried Welan schon in den Siebzigern gewarnt.

Jubiläen kann man auf verschiedenste Weise begehen. Der frühere Universitätsrektor, Politiker und Pionier der österreichischen Politologie, Manfried Welan, präsentierte anlässlich seines 75. Geburtstags einen Band mit 30 ausgewählten Beiträgen aus fast fünf Jahrzehnten, deren Thesen und Befunde erstaunlich aktuell klingen. Ihr Grundtenor: Demokratie sei in Österreich zwar formal-institutionell verankert, das demokratische Bewusstsein der Bevölkerung hinke dieser Entwicklung aber hinterher. Dies erklärt auch das auf den ersten Blick verunsichernde Fragezeichen, mit dem der Autor den Titel seines aktuellen Buches versieht.

Manfried Welan beschert uns im Streifzug durch die Jahrzehnte verschiedenste Anregungen: So interpretiert er die österreichische Bundesverfassung als "Baugesetz des Misstrauens“ zwischen den beiden früheren Großparteien. Dies erkläre nicht nur den Hang zur Proporzdemokratie, sondern führte auch zu einem vielgliedrigen System an der Staatsspitze, das "Führungskonkurrenzen“ und immer wieder "Lähmung im Regierungsprozess“ ergebe.

Reform des Wahlrechts

Schon in den 1970er-Jahren warnte er vor den Gefahren einer auf permanente Demoskopie und Massenmedien ausgerichteten Politik. Oder wer wollte dem treffenden Befund widersprechen, dass bei unseren Abgeordneten "der Erwerb von Fachkenntnissen für die Schaffung von guten Gesetzen in den verschiedenen Bereichen unter der Zeitknappheit und dem oft leeren Ritual der Parteitätigkeit leidet“?

Zeitlos bleiben die vielfältigen Reformvorschläge, die der Jubilar im Lauf seines wissenschaftlichen Lebens publiziert hat, etwa - hoch aktuell - die Übertragung parlamentarischer Kontrollrechte wie die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen an die Minderheit, die transparente Regelung der Parteienfinanzierung, der Ausbau innerparteilicher Demokratie, qualifizierte Kandidatenauslese oder die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der Bundesregierung. Selbst die ersatzlose Streichung der Landtage stellt er zur Diskussion. Welan erinnert übrigens auch daran, dass die Forderung nach umfassender Demokratiereform unter dem Stichwort "Dritte Republik“ keine Erfindung der FPÖ ist, sondern schon in den 1980er-Jahren von der ÖVP Steiermark eingeführt wurde.

Wie ein "Ceterum censeo“ zieht sich aber des Professors Plädoyer für eine Reform des Wahlrechts als "archimedischer Punkt des Regierungssystems“, konkret seine Vorschläge für ein Mehrheitswahlrecht, durch den Band. Seine Pro-Argumente sind geringere Abhängigkeit der Mandatare von ihrer Partei, höhere Personalisierung oder die Möglichkeit einer Richtungsentscheidung. Die Funktionsfähigkeit einer Regierung müsse höher bewertet werden als eine abstrakte Gerechtigkeit, die Stabilität gefährdet und Reformen erschwert.

Der Autor entlässt aber auch die Österreicherinnen und Österreicher nicht aus ihrer Verantwortung und kritisiert deren Hang, das Freiheitsbewusstsein auf das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, zu reduzieren (Welan nennt es "Passivfreiheit“ oder an anderer Stelle "modernes Biedermeier“). Der Wunsch, zu gestalten, Dinge zu ändern (politische aktive Freiheit), wäre ihnen hingegen fremd. "Nur nix riskieren!“ war im 20. Jahrhundert genauso eine Maxime, wie sie es heute ist. Eng in Zusammenhang mit dieser Haltung verortet der Autor die "von den Parteien gelenkte Erwartungskultur“, die zu immer mehr Ansprüchen und Abhängigkeiten gegenüber dem Staat ("Staatsfixierung“) geführt habe.

"Alles bleibt, wie es ist“

Umso mehr Bedeutung kommt der "Mobilisierung der Christen“ (so der Titel eines Aufsatzes aus dem Jahr 1968) an Bedeutung zu, womit Manfried Welan ein "Sich-in-Bewegung-Setzen der Christen als Individuen in der Demokratie und für die Demokratie“ meint. Christlich inspirierte Politik müsse sich im politischen Stil und in politischen Umgangsformen niederschlagen, müsse primär als Ethik, nicht als Technik entworfen werden. Diesen Ratschlag sollte sich nicht zuletzt die nominell christdemokratische ÖVP zu Gemüte führen!

Auch rechtshistorisch wie rechtstheoretisch Interessierte kommen in diesem Sammelband auf ihre Kosten, seien es Texte zur "vergessenen Revolution“ von 1848, über Föderalismus und Selbstverwaltung der Gemeinden, zu Tradition und Widerstreit von Parlamentarismus und Präsidialismus in Österreich, zur politischen Bildung, zur Lehre von der Gewaltenteilung oder Reflexionen über Regierungsbildung zwischen geschriebener und Realverfassung. Die "Betrachtungen“ des Autors schließen darüber hinaus auch Texte zur Globalisierung, zu den Menschenrechten oder zum Projekt Weltethos Hans Küngs mit ein.

Die Lektüre der Beiträge bestätigt einmal mehr: Manfried Welan zählte und zählt zu den wichtigsten Vordenkern einer Reform unserer Demokratie. Er ist ein gern gesehener Referent und geschätzter Diskussionspartner österreichischer Politikerinnen und Politiker. Als "Geburtstagsgeschenk“ hätte er es sich verdient, dass sein profunder politischer Rat auch beherzigt wird. Wünschen wir ihm und uns, dass die bedrohliche letzte Zwischenüberschrift in diesem Buch - "Alles bleibt, wie es ist“ - nicht Realität wird!

Österreich auf dem Weg zur Demokratie?

Aufmerksame Beobachtungen aus einem halben Jahrhundert

Von Manfried Welan, Böhlau 2012

358 Seiten, gebunden, e 39,00

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