Langeweile, Sex & Lügen

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Bill Clinton hat der Versuchung keinen Widerstand geleistet. Aber die Zeiten sind vorbei, in denen die Schuld bei den "Verführerinnen" gesucht wurde.

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Bill Clinton hat der Versuchung keinen Widerstand geleistet. Aber die Zeiten sind vorbei, in denen die Schuld bei den "Verführerinnen" gesucht wurde.

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Während des letzten Wahlkampfs in den USA ist David Brinkley, einem bekannten amerikanischen Fernsehkommentator, eine Bemerkung entschlüpft. Im Glauben, die Kamera sei schon abgeschaltet, sagte er: "Wir alle freuen uns auf vier weitere Jahre voll wunderbarer, inspirierender Reden, voll von Witz, Poetik, Musik, Liebe und Zuneigung - und eine ganze Menge mehr von diesem gottverdammten Unsinn." Als ihn alle Umstehenden schon zu bremsen versuchten, hat er über Bill Clinton noch hinzugefügt: "Er ist ein Langweiler, und er wird immer ein Langweiler bleiben."

Das war ungerecht. Langweilig war Clinton nie, und er ist es heute weniger denn je. Aber eine vertrauenswürdige Figur war er auch nie. Selbst jene Amerikaner, die ihn gewählt haben, trauen ihm nicht über den Weg. Er gilt als schillernd und wankelmütig; aber auch als ein politisches Naturtalent. Er wird als ein Schlitzohr gesehen; ein geschickter Präsident, aber doch mit zuwenig Potential, um ein wirklich "großer Präsident" zu werden. Und es sind private Schwächen, die den "Überlebenskünstler" aus Arkansas offenbar an seine Grenzen treiben; nicht, wie man zeitweise vermuten konnte, die nicht ganz geklärten Immobiliengeschäfte aus der Whitewater-Ecke.

Gezügelte Moral Daß Clinton das ist, was man im Österreichischen einen "Schürzenjäger" nennt, war jedem bekannt. Seine Frauengeschichten sind ihm schon lange nachgehangen. Da war die Geschichte mit der Nachtklubtänzerin. Da war die offizielle Beschuldigung der sexuellen Belästigung, die gerichtsanhängig zu werden drohte. Da waren andere Gerüchte. Aber in diesen Fällen haben die Amerikaner ihren Moralismus gezügelt, waren durchaus bereit, "menschliche Schwächen" hingehen zu lassen. Aber daß Clinton in einer Situation, in der er schon bis zum Hals im Schlamassel steckte, die Unverfrorenheit oder Zügellosigkeit aufgewiesen hat, seine "Weibergeschichten" im Weißen Haus fortzuführen, das scheint vielen doch die grundsätzliche Frage nach seinem Charakter aufzuwerfen: sowohl nach seiner Haltlosigkeit als auch nach seiner Dummheit. Wie selbstdiszipliniert muß ein Mann sein, der die global-politische Verantwortung eines US-Präsidenten trägt? Wie stark läßt er sich von seinen Schwächen beuteln? Wie beschränkt ist er, wenn er glaubt, solche Affären ließen sich geheimhalten?

Die Intrige - mit dem Lockvogel und der Abhöraktion - ist gut geplant, und die Zuspitzung auf die Anstiftung zum Meineid ist die juristische Basis für eine Angelegenheit, bei der es im Grunde um etwas anderes geht. Die öffentliche Stimmung in Sachen Sexualität hat sich geändert, trotz einer allgemeinen Lockerung der Sitten. Die Zeiten sind vorbei, in denen in Autoritätspositionen aufgestiegene Männer es nahezu als ihr Recht betrachten konnten, sich aus dem ihnen zugänglichen weiblichen Potential zu bedienen. Die Frauen sitzen heute nicht so selten am stärkeren Ast. Die vorgängige Vermutung spricht heute für die Frau, in einer fast unwiderlegbaren Weise: bis zu jenen Extremfällen des "sexual harrassment" in der umgekehrten Konstellation, die Demi Moore und Michael Douglas im Film so schön vorexerziert haben. Vor wenigen Jahrzehnten stürzten Politiker nur dann über ihre Affären, wenn die Geliebte zufällig für das feindliche Ausland spionierte. Heute pflegen sie nicht so selten über den ganz banalen Ehebruch oder über das Treffen mit Prostituierten auf der Dienstreise zu stolpern.

Die Zeiten sind auch vorbei, in denen die Schuld im Zweifelsfall bei den "Verführerinnen" gesucht wurde. Es gibt Indizien dafür, daß die junge Praktikantin im Weißen Haus Clinton nachgelaufen ist, und insofern kann nicht einmal "sexuelle Belästigung" angenommen werden.

Leben wie Stars Es gehört zur modernen Welt, daß sich vor und hinter den Bühnen irgendwelcher Pop- und Rock-Konzerte Scharen von halbwüchsigen Hysterikerinnen drängen, die sich nichts sehnlicher wünschen als die (sei es auch nur flüchtige) Vereinigung mit ihrem Idol. US-Präsidenten haben auch ein bißchen von diesen "Stars", und die Aura von Macht und Geschichte scheint in sexuelle Attraktivität umsetzbar zu sein. Clinton hat der Versuchung keinen Widerstand geleistet, und der Versuch zur Verheimlichung der Affäre wird ihm zum Verhängnis.

Zum Thema Sexualtherapeutin Rotraud A. Perner Wie die Macht schmeckt: Bill Clinton, ein Lüstling wie im 18. Jahrhundertn Seite 6 Wirtschaftspsychologin Christine Hill Der Verlust von würdigen Vorbildernn Seite 23

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