Laufsteg der Gefühle

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Helmut Lachenmanns "Mädchen mit den Schwefelhölzern", erstmals szenisch in Österreich aufgeführt.

Zur wichtigsten Uraufführung des Jahres wurde 1997 Helmut Lachenmanns "Mädchen mit den Schwefelhölzern" gekürt, eine "Musik mit Bildern" - so der Untertitel - basierend auf dem Märchen von Hans Christian Andersen sowie Texten von Leonardo da Vinci und der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Das eigentliche Libretto ist jedoch nur bedingt erkenntlich: dekonstruiert collagiert werden die Texte wiedergegeben, wie die in ihren Effekten vielfältige Musik kommen sie als Bruchstücke zu Gehör. Auf diese Art wird die Geschichte, in der die natürliche Kälte mit der gesellschaftlichen und das Schicksal des erfrierenden Mädchens mit jenem der Selbstmord begehenden Terroristin gleichgesetzt wird, akustisch ausgemalt; eine Inszenierung wohnt im Grunde dieser Musik schon inne, so dass man sich fragen muss, ob es einer szenischen Ausgestaltung wirklich bedarf, ob es nicht ausreichend wäre, das Werk konzertant oder wie bei den Salzburger Festspielen des Vorjahres als Klang-Bild-Installation aufzuführen.

Eine Inszenierung wie jene von Alfred Kirchner, die einerseits glücklicherweise darauf verzichtete, dem komplexen, dem musiktheatralischen Normalverbraucher sich schwer erschließenden Opus eine zweite szenische Bedeutungsebene angedeihen zu lassen, stattdessen den Text einfach nur in Aktion umsetzte, wirkte andrerseits wenig abstrahierend und ideenarm: Das Zittern des frierenden Mädchens ist beispielsweise in der Musik deutlichst ausgedrückt, wenn dies aber auf der Bühne auch noch voll ausgespielt wird, wirkt dies - in der Verdopplung - überzeichnet. Im Plakativen blieb derart vieles stecken, was der Regisseur auf der Spielfläche, einem kreuzförmigen über die kreisförmigen Zuschauerreihen gelegten Laufsteg (Ausstattung: Karl Kneidl, Lichtdesign: Norbert Chmel), darstellen ließ. Diese Raumanordnung in der großen BA-Halle im Wiener Gasometer, hatte aber dennoch einen Reiz - vorwiegend akustischer Natur: Das riesige, von Walter Kobéra und mehreren Subdirigenten präzise geleitete Instrumentarium aus Amadeus-Ensemble Wien und Tonkünstler-Orchester Niederösterreich sowie dem instrumental behandelten Chor der Neuen Oper Wien war rund um das Publikum positioniert, was interessante Klangraumeffekte ergab.

Mit einsatzfreudigem Mut und Präsenz spielte die junge Phillippa Galli das Mädchen, während Therese Affolter als Terroristin Gudrun Ensslin intellektuelle Kühle ausstrahlte. Die schwierigen sängerischen, in extreme Höhen geführten Partien absolvierten Elizabeth Keusch und Sarah Leonard höchst virtuos, während sich Walter Raffeiner als ausdrucksvoller Sprecher des durch vertauschte Silben heiklen Leonardo da Vinci-Textes präsentierte. Nur Emine Sevgi Özdamar blieb mit ihrem Auftritt als Großmutter unbedeutend. Die Koproduktion der Wiener Festwochen mit der Neuen Oper Wien, gleichzeitig die erste szenische Realisierung des Werkes in Österreich, erntete großen Jubel, allerdings nur von jenem Teil des Publikums, der sich der mit knapp zwei pausenlosen Stunden nicht nur die Ausführenden beträchtlich fordernden "Musik mit Bildern" bis zum Ende aussetzte.

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