Laute Berufung in einem Leben der Stille

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Erinnerung an Thomas Merton, dessen Todestag sich vor Kurzem zum 40. Mal jährte: Der Trappistenmönch vereinigte in seiner Person offene Katholizität, politische Spiritualität - und eine liebenswürdige Menschlichkeit.

Thomas Merton hat zahlreiche Menschen tief beeindruckt und nachhaltig beeinflusst. Einige von ihnen sind sogar davon überzeugt, Merton, der die Zeit von Mitte Dezember 1941 bis Anfang Mai 1968 fast ausnahmslos im Trappistenkloster Our Lady of Gethsemani in Kentucky verbrachte, an Orten begegnet zu sein, wo er unmöglich gewesen sein konnte. Jim Forest, ein guter Freund und späterer Biograf Mertons, ist Leuten begegnet, die ihm aufrichtig versicherten, Merton in der National Gallery in London gesehen zu haben oder in einer Suppenküche in St. Paul, Minnesota, wo er Essen an Bedürftige austeilte.

Die seltsamsten Begegnungen dieser Art aber fanden Forest zufolge nach Mertons Tod statt. Merton war im Dezember 1968 im Alter von 53 Jahren bei einer Ordensleutekonferenz nahe Bangkok durch einen tragischen Unfall, der von einem elektrischen Ventilator verursacht wurde, ums Leben gekommen. Verschiedene Menschen aber vermuteten, dass Merton nicht wirklich gestorben sei, sondern sich heimlich davongemacht habe und seither inkognito lebe. Es sei verheiratet und habe Kinder. Er sei unverheiratet, aber lebe mit einem Mannequin zusammen. Er sei ein buddhistischer Mönch geworden, ein hinduistischer Asket oder ein Sufi. Er sei wegen Protestaktionen gegen den Vietnamkrieg inhaftiert worden.

"Reiner Schwachsinn"

Zweifellos sind solche Vorstellungen objektiv gesehen Unsinn. Sie zeigen aber, dass die geniale und bunte Persönlichkeit Mertons auch über seinen Tod hinaus die Phantasie der Menschen anregte. Spekulationen über Mertons Zukunft gab es schon zu seinen Lebzeiten. In einem Brief an die feministische Theologin Rosemary Radford Ruether vom 14. Februar 1967 beschrieb Merton seine Situation wie folgt: "Im Orden bin ich als Außenseiter bekannt, und mein Abt hält mich für ein gefährliches Subjekt, das jeden Augenblick mit einer Frau durchgehen oder sonst etwas anstellen könnte."

Merton hatte zu dieser Zeit bereits einen langen, teils steinigen Weg im Kloster zurückgelegt. Als der 27-jährige katholische Konvertit 1942 in das Noviziat der Trappisten-Abtei Gethsemani aufgenommen wurde, entsprach er vollkommen jenem stereotypen Ideal eines Trappisten, der die Welt verlassen, ihr den Rücken zugekehrt und sein Haupt unter einer Kapuze versteckt hat: Mertons berühmte Autobiografie "Der Berg der sieben Stufen" vermittelt exakt dieses Bild. Im Laufe der Jahre jedoch entwickelte Merton eine unbändige Sehnsucht nach größerer Einsamkeit. Er litt darunter, dass ihm von seinen Ordensoberen lange Zeit untersagt wurde, friedenspolitische Beiträge zu publizieren, weil dies angeblich kein Thema für Mönche sei. In einem Brief an den befreundeten Jesuitenpater und Friedensaktivisten Daniel Berrigan beklagte sich Merton darüber mit deutlichen Worten: "Nun, ich hasse es vulgär zu sein, aber ein Großteil der klösterlichen Parteilinie ist reiner Schwachsinn. Versuche, irgendetwas Ernsthaftes zu machen, und sofort werfen sie dir Aktivismus vor. Kurz gesagt, es ist alles in Ordnung, wenn sich der Mönch bei der Käseherstellung den Arsch aufreißt und auf diese Weise Geld für das alte Kloster scheffelt. Aber wenn es um Dinge geht, die wirklich fruchtbar für die Kirche wären, schaut das alles ganz anders aus."

Jene wirklich ernsthaften und fruchtbaren Dinge, mit denen sich auch Mönche auseinandersetzen sollten, waren für Merton der Protest gegen nukleare Abschreckung und Vietnamkrieg, die Solidarität mit dem indigenen und dem afroamerikanischen Bevölkerungsteil der Vereinigten Staaten, das Eintreten für ökologische Anliegen und für interreligiöse Verständigung. Merton misstraute den friedensschwangeren Beteuerungen der Militärs und trat für die gewaltlosen Strategien der sozialen Verteidigung ein. Er schrieb unter anderem Beiträge über Franz Jägerstätter, Max Joseph Metzger und Mahatma Gandhi.

"Ich bete, indem ich atme"

Der in der christlichen Mystik hervorragend bewanderte Merton interessierte sich zunehmend für andere Religionen und Spiritualitäten, für den Taoismus und den Sufismus, für den Hinduismus und vor allem den Buddhismus. Er führte Gespräche mit buddhistischen Lehrmeistern wie Daisetz Suzuki, Thich Nhat Hanh und dem Dalai Lama. Er betrachtete das Gebet nun nicht mehr so sehr als eine von vielen Tätigkeiten, die auf der Erledigungsliste guter Christinnen und Christen zu stehen hat, sondern als grundlegende Dimension menschlicher Existenz, als Gewahrwerden Gottes in der Tiefe des Seins: "How I pray is breathe. - Ich bete, indem ich atme." 1964 erhielt Merton von seinem Abt die Erlaubnis, in einem zehn Gehminuten vom Kloster entfernten Bungalow zu leben. Sein (häufig unterbrochenes) Eremitendasein bedeutete für Merton keineswegs eine selbstsüchtige Abkapselung von der monastischen Gemeinschaft und der übrigen Welt. In der Tiefe seines Schweigens wurden ihm vielmehr die Solidarität mit seinen Mitmenschen und das Eingebundensein in Gottes gute Schöpfung deutlicher bewusst.

Merton blieb als kontemplativer Mönch ein vielseitig interessierter und suchender, dialogfähiger und fragender Mensch. Er beschäftigte sich mit Philosophie, Psychologie, Politik, Poesie und Fotografie. Lernfähigkeit und Offenheit waren für ihn zentrale Elemente des Katholischen: "Der, Katholik', der das aggressive Exemplar einer katholischen Getto-Kultur ist, beschränkt, starr, voller Vorurteile, negativ, ist genau genommen ein Anti-Katholik."

Merton hatte eine laute Berufung in einem Leben der Stille. Neben seinen vielen Büchern und Artikeln (Merton bezeichnete sich selbst als "Verfasser von mehr Büchern als notwendig") und seinen postum in sieben Bänden veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen sind vor allem Mertons unzähligen Briefe zu nennen. Er korrespondierte mit Päpsten (Johannes XXIII., Paul VI.) und Bischöfen (Kardinal König, Dom Helder Câmara u. v. a.), mit Schriftstellern (Evelyn Waugh, Henry Miller, Robert Lax, Boris Pasternak, Czes\0x0142aw Mi\0x0142osz u. v. a.) und mit Theolog/inn/en (Rosemary Radford Ruether, Paul Tillich, Abraham Joshua Heschel, Karl Rahner u. v. a.).

Einfach, uneitel, völlig unklerikal

Very important persons indeed: Merton selbst lag jedoch nicht viel daran, für bedeutend und wichtig gehalten zu werden. Keiner seiner Mitbrüder im Kloster betrachtete ihn als berühmte Persönlichkeit, vor allem deshalb, weil er selbst nicht so von sich dachte. Er war einfach und uneitel, völlig unklerikal und meist äußerst liebenswürdig. Er war er selbst.

In Mertons Tagebucheintragung vom 19. Februar 1967 heißt es: "Am schlimmsten ist es, sich eine Persona, eine professionelle Maske, zu konstruieren. Das ist gefährlich und nutzlos. Totale Energieverschwendung. Der Wald bewahrt mich davor und die Sonne und der Schnee. Lieblicher Gesang der Vögel, schmelzende Schneefelder gestern Nachmittag."

* Der Autor ist Univ.-Prof. für Ethik und Christliche Gesellschaftslehre in Graz sowie Vizepräsident von Pax Christi Österreich.

Buchtipp: Ein Tor zum Himmel ist überall. Inspirationen

Von Thomas Merton. Vorwort vom Dalai Lama.

Hg.: Bernardin Schellenberger. Herder, Freiburg

2008. 157 Seiten, kt., € 9,20

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