Lauter Chefs - © Robert Dengscherz

Die FURCHE-Redaktion: Lauter Chefs

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Engelbert Washietl hat eine FURCHE-Redaktionskonferenz besucht und seine "prickelnde, geradezu voyeuristische" Freude an dieser "Betriebsspionage" gehabt ...

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Engelbert Washietl hat eine FURCHE-Redaktionskonferenz besucht und seine "prickelnde, geradezu voyeuristische" Freude an dieser "Betriebsspionage" gehabt ...

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Eine Redaktion ist ein Mikro-Biotop. Bei der Wochenzeitung DIE FURCHE ist sie besonders mikro. Das macht sie sympathisch und, was die wöchentlich auf Zeitungspapier ausgedruckte und somit zähl- und messbare Leistung betrifft, eindrucksvoll. Zwar verstehen die in Menschengestalt auftretenden Umsatz- und Ertragsrechner so etwas überhaupt nicht, denn was kann man von einem Acht-Personen-Team schon halten, das Artikel schreibt! Die gebündelte Geisteskraft dieser Leute könnte bei aufmerksamer Marktforschung und unter Anwendung von Management-Dressuren das Hundertfache einspielen, indem sie beispielsweise neuartige Event-Formen zur Bewältigung der Weihnachtsfeiertage erfindet oder dem "pro-idee-Katalog" designmäßig zuarbeitet. Aber so...

Post von Olah, Schmidt

Gottseidank gibt es Leserinnen und Leser, die gerade das schätzen, was die FURCHE-Redaktion ausmacht. Am schwarzen Redaktionsbrett hängt die Fan-Post zweier Zeugen, die - offenbar ermüdet durch eine auf Skandal-, Promi- und Genusskultur reduzierte Medienwelt - das Bessere suchen: Franz Olah, der alte und auch für seine SPÖ immer schwierig gewesene ehemalige Innenminister und Geburtshelfer der Kronen Zeitung, beglückwünscht die FURCHE zu ihrer Leistung. Und Heide Schmidt, die Liberale, gratuliert zum Geburtstag und findet die Gestaltung der Einladung mit der langen Bank "umwerfend". Der Leserkreis des Blattes mag zahlenmäßig bescheiden wirken, erfasst aber wie der Rotor eines Radarsystems 360 Grad des geistigen Horizonts.

Aber ich wurde nicht eingeladen, um über die FURCHE zu schreiben, sondern über deren Redaktion und durfte deshalb an einer Redaktionskonferenz teilnehmen. Betriebsspionage ist immer eine prickelnde, geradezu voyeuristische Sache: Wie machen es die andern? Da sitzen sie also, die anderen von der FURCHE, am Mittwoch um 14.30 Uhr bei der regulären Wochenkonferenz im zweiten Stock des Hauses am Lobkowitzplatz 1 in Wien um einen u-förmigen Tisch. An der Stirnseite Chefredakteur Rudolf Mitlöhner, ein optimistischer 40er, dessen oberste Entscheidungsgewalt gerade mit der Frage umgarnt wird, um die sich Journalisten gern leichtfertig herumdrücken: Verstehen's die Leser?

Denn da taucht in der neuesten FURCHE-Nummer, die in der Konferenz einer professionellen Kritik unterzogen wird, auf Seite 1 die ominöse Jahreszahl 1683 auf. Sie steht im Titel, dann auch im Text, aber auch im Text ohne Erläuterung. Um die Türken geht es im Artikel, alles klar? Ob aber jedem Leser aus dem Stand heraus die Türkenbelagerung einfallen wird, wie der Autor das voraussetzt? Mitlöhners Glaube an das bürgerliche Bildungsideal wankt bestenfalls einen Lidschlag lang, dann sagt er: "Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass man das nicht weiß." Selbst ein FURCHE-Chefredakteur könnte es mit den Jahren noch einmal billiger geben.

Beistriche und Peanuts

Die FURCHE-Redaktion ist - keineswegs überraschend - jung. Die für Gesellschaft und Bildung zuständige Doris Helmberger ist zur Blattkritik eingeteilt und zieht ziemlich respektlos über einen Text her, der "relativ wolkig" sei - "wie man immer zittert, dass es sein wird". Wäre Elizabeth T. Spira anwesend, die Aussage wäre für "Alltagsgeschichten" sendetauglich.

Kritik wie diese schließt freilich nicht aus, dass jede Zeitung und gewiss die FURCHE hervorragende Autoren und Kommentatoren hat. So gesehen also ist die FURCHE unverkennbar ein Kind der schreibenden Zunft auf dem Weg zu Vollkommenheit.

Sie ist es aber auch in der Unverfrorenheit, mit der manche in der Texterfassung gestählte Journalisten und Journalistinnen mit der Grammatik umgehen. Sagt Helmberger über einen Artikel ihres Kollegen Wolfgang Machreich doch allen Ernstes, er sei in Ordnung, und es gebe nichts zu beanstanden - "außer vielleicht ein paar Beistriche und solche Peanuts". Sie ist richtig in Fahrt, sodass sie gar nicht merkt, wie ich neben ihr verfalle, weil ich gerade vom Publizistik-Institut komme und Bakkalaureats-Studenten damit eine halbe Stunde lang damit gequält habe, dass es Journalisten sogar bei der Beistrichsetzung ernster mit der deutschen Sprache sein müsste als der jeweils neuesten Auflage des Duden. Peanuts verschenke ich also. Aschantinüsse.

Knappe Ressourcen

Später, auf dem Heimweg werde ich mich dunkel erinnern, dass ich schon früher einmal Gast in der FURCHE-Redaktion gewesen bin - damals hatte man mich zu einer Blattkritik von außen eingeladen. Die Segnungen des Computers erweisen sich darin, dass man auf seiner Festplatte alles Mögliche wiederfinden kann. Ich werde also zu Hause die schriftliche und auch in der FURCHE ausgeteilte Fassung meiner Blattkritik aufstöbern, vom Oktober 2000, in der schwarz auf weiß stand: "Auch Wochenzeitungen stehen unter Zeitdruck, schlampige Redigierarbeit verzeiht man ihnen aber noch weniger als den Tageszeitungen. Rechtschreib- und Grammatikfehler kommen in der FURCHE für eine Wochenzeitung zu häufig vor." Ich werde daheim also aufatmen: An mir liegt es nicht, aber es hätte eh nichts genützt, denn es sitzen einschließlich Chefredakteur überwiegend andere und noch jüngere Leute in der Redaktionskonferenz als vor fünf Jahren. Sie sind die Zukunft. Und was nützt schon überhaupt was?

Wir fahren fort, Kritik an dem vorliegenden Blatt mischt sich mit dem architektonischen Entwurf der nächsten Ausgabe. Die Wirtschaft, repräsentiert durch Claudia Feiertag, hat sich diesmal zum Schweigen verurteilt, denn im Prinzip ist zwar auch in der FURCHE Wirtschaft alles, aber jetzt geht es um die große Jubiläumsnummer, und die frisst einmal in zehn Jahren alle Ressourcen auf.

Machreich hat zu Recht und eigentlich selbstverständlich den Leopold-Ungar-Medienpreis bekommen - und er hat, sei es des Personalmangels wegen oder aus beruflichem Ehrgeiz, die paar Zeilen über seine Auszeichnung selber rasch ins Blatt getippt, was ja nicht unziemlich ist. Es soll ältere Journalisten geben, die am liebsten ihren eigenen Nachruf rechtzeitig schreiben möchten, weil niemand anderer es besser könnte.

Die acht Literaturseiten, gestaltet durch Brigitte Schwens-Harrant, schwelgen diesmal im Vollen: Die FURCHE bietet aus Anlass der Wiener Buchwochen - und somit zeitversetzt zur Frankfurter Buchmesse - einen ausführlichen Österreich-Schwerpunkt. Arno Geigers viel besprochener, mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneter Roman "Es geht uns gut" etwa wird da sehr kritisch betrachtet.

Vier Seiten Kierkegaard

In der FURCHE ist jedes Redaktionsmitglied sein eigener Chef, Vor- und Hilfsarbeiter. Was eine/r bringt, wird publiziert, was eine/r nicht bringt, bleibt unbeaufsichtigt liegen und vor allem ungeschrieben. Das gibt dem Blatt eine unberechenbare Buntheit. Die Kreativität abseits der durch die Medienindustrie zerstampften Lichtungen ist prozedural abgesichert. Das gilt auch fürs Feuilleton, das Cornelius Hell wöchentlich gestaltet. Er darf die nächste EU-Erweiterung vorausnehmen und die Highlights der bulgarischen Literatur herausarbeiten. Oder ein Beispiel aus dem von Otto Friedrich betreuten Religionsressort: Welche Zeitung in Österreich hätte vier Druckseiten für den vor 150 Jahren gestorbenen Existenzphilosophen Soeren Kierkegaard übrig?

Für die Optik zeichnet Robert Dengscherz verantwortlich: "Viele Fotos haben wir ja nicht, und alle kann nicht ich allein machen. Aber wenn wir sie haben, schneiden wir sie so gewagt, dass jeder hinschaut."

Was die Leser an ihrer FURCHE haben, wissen sie genau. Die Noch-nicht-Leser wissen es noch nicht. Jene politischen und geistigen Instanzen hingegen, die eigentlich eine Freude an der wöchentlichen intellektuellen Platzbesetzung haben müssten, werden sie vermutlich nie ganz begreifen. Damit ist sicherlich die katholische Kirche in ihrer Amtskirchen-Fassung gemeint, und die ÖVP als angestrengter Wahlwerber. Gremialautoritäten stellen gern Besitz- und Herrschaftsansprüche und rufen empört, wenn die FURCHE so schreibt, wie sie immer schreibt. Otto Friedrich, neben Religion auch für Medien zuständig, will das Spannungsverhältnis durch eine "kritisch-journalistische Distanz" abgesichert wissen. Gäbe es in Redaktionen einen Chefideologen, Friedrich wäre ein Anwärter auf diesen Posten: "Wir müssen diesen Institutionen gegenüber erkennbar kritisch sein, dürfen aber - ebenfalls erkennbar - keine Gegner von ihnen sein."

Weihnachtsfeier am 11. 1.

Hat die FURCHE Zukunft? Ja, so lange es diese Redaktion gibt. Auf der Homepage des Mutterkonzerns findet sich das Blatt im großen Warenkorb der Wochenzeitungen - zwischen Ennstaler Woche, Obersteirer & Co. -, und wird dort als "Kür qualifizierter Horizonterweiterung" angepriesen. Auch die Kür freilich muss sich heutzutage rechnen - die Unternehmenszahlen der FURCHE sprechen allerdings eine erfreuliche Sprache. Da verschiebt die Redaktion am Schluss ihrer Konferenz gerne die Weihnachtsfeier auf 11. Jänner; einen früheren Termin zum Feiern schaffen die engagierten Leute nicht mehr - die Furche hat Vorrang.

Der Autor ist Chefkommentator des "Wirtschaftsblatts".

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