Leben im falschen Film

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Wer kann schon sagen, wo Realität endet und Fiktion beginnt? Der schräge Anti-Held in Dani Levys Groteske „Das Leben ist zu lang“ mit Sicherheit nicht – er durchlebt eine Tour de force, wie sie im Kino nur selten zu sehen ist.

Das Leben ist zu lang – Dani Levys gleichnamiger Komödienspaß definitiv nicht: Mit seinem 87-minütigen Mix aus problembehafteter Familiengeschichte, surrealer Filmindustrie-Persiflage und sympathischer Verlierer-Story reizt der Schweizer Filmemacher seinen bekannt schrägen Hang für Leinwandkomik exzessiv aus. Der in Berlin lebende Regisseur und Drehbuchautor hat bereits mit „Alles auf Zucker!“ und „Mein Führer“ bewiesen, dass konventionelle Leinwandkost nicht seine Sache ist – philosophische Skizzen und das Interesse an menschlichen Irrungen und Wirrungen sein filmisches Œuvre prägen.

Mit dem Kopf durch die Leinwand

„Man muss den Zuschauer im Kino viel stärker attackieren, ihn aufwirbeln, ihm mehr zu kauen geben. Man braucht nicht immer weiches Toastbrot, sondern zwischendrin auch etwas, wo es gedanklich und emotional so richtig etwas zu beißen gibt. Kino ist so ein gesicherter Raum und manchmal fühlen sich die Leute ein bisschen zu sicher, ich würde sie gerne mehr erschrecken“, beschreibt Levy sein Arbeits-Credo.

Protagonist Alfi, liebenswerter „Loser“ mit jüdischen Wurzeln möchte mit einem Filmprojekt als Regisseur noch einmal durchstarten und wieder zurück auf seine im Sand verlaufene Karriereschiene finden. Der Arbeitstitel der geplanten Produktion: „Mohammed lacht sich tot“ – ein Garant für Ärger. Für Levy haben diese Turbulenzen allerdings noch zu wenig „Pech-und-Pleiten“-Pathos, um seinen Anti-Helden endgültig zum Neurotiker zu machen: Am Höhepunkt von Alfis Midlife-Crisis muss er auch noch miterleben, wie ihn seine Frau betrügt und bei ihm Darmkrebs diagnostiziert wird.

Realität trifft Fiktion. „Natürlich habe ich einige Teile meines Lebens zur Verfügung gestellt und in die Komödie einfließen lassen. Mich hat die Vermischung von Biografie und Fiktion schon immer interessiert: Die Verarbeitung von eigenen Erfahrungen in einer fiktionalen Geschichte – und das aus einem zutiefst persönlichen Blickwinkel“, meint Levy über die Parallelen zu seinem Film-Alter-Ego. Dem Familienvater und jüdischen Filmemacher sind Schaffenskrisen aus der eigenen Lebenspraxis bekannt, genauso wie „das Gefühl im falschen Film zu sein“, gesteht der 52-Jährige: „Ich beobachte, dass viele Männer eine reflektive Zäsur einlegen, wenn sie 50 werden – sich Gedanken darüber machen, ob ihr Leben Sinn und Erfüllung bietet. Es ist sicher kein Zufall, dass ich, Das Leben ist zu lang‘ jetzt gedreht habe und nicht vor zehn Jahren.“

Krisen sind für die Wirtschaft

Auch für „Alfi“-Darsteller Markus Hering ist das Drehangebot in der richtigen Phase seines Lebens gekommen: „Ich bin in keiner Midlife-Crisis, aber in einem Alter, wo man sich Gedanken macht: Was würde ich gerne in meinem Leben verändern, was habe ich erreicht? Ich bin gerade 50 geworden und habe die berufliche Entscheidung getroffen, mich vom Burgtheater zu trennen – meinen Beruf noch einmal neu zu definieren.“ Eine kluge Entscheidung, wie seine Leinwand-Performance beweist: mit Bravour meistert der gelernte Bühnen-Darsteller Levys facettenreichen Inszenierungs-Parcours. Was ihn an der Rolle besonders gereizt hat? „Ich spiele gern Verlierer, die sich nicht unterkriegen lassen. Mir gefällt, dass sich Alfi im Film nicht ganz entschlüsselt – nicht einmal mir, der ihn gespielt hat.“ Vor allem jene Lesart – nach der die Suche seiner Filmfigur nach dem Regisseur, „der ihm dieses beschissene Leben an den Hals geschrieben hat“, nur in dessen Kopf stattfindet – sei eine besonders spannende Herausforderung gewesen, spielt Hering auf jene surrealen Film-Elemente an, die dem Zuseher selbst die Entscheidung überlassen, wo (Film-)Realität endet und Fiktion beginnt.

Ein autobiografisches Meisterwerk über die Schaffenskrise eines Filmemachers.

Das Leben ist zu lang

D, 2010. Regie: Dani Levy. Mit Markus Hering, Meret Becker, Veronica Ferres, David Schlichter.

Verleih: Filmladen; 87 Min.

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