"Tableaux vivants" in der Kunsthalle Wien.
Zwischen Populärkultur, Theater, Kunst und Kitsch bewegen sich die "Tableaux vivants". Als visuelle Begleiter sind sie im Alltag der Medien- und Konsumgesellschaft allgegenwärtig. Modefotografie, Pop-Star-Kult, dekadente Picknick-Szenen der Römerquelle-Werbung zehren von der Macht und Faszination der Bilder, die im kollektiven Bewusstsein gespeichert sind. Lustvoll erforscht "Tableaux vivants" in der Kunsthalle Wien die Grenze, an der lebende Bilder und Attitüden zu Kunst werden. Selbstinszenierung, Geschlechtertausch, üppige Opulenz, Gesellschaftskritik, Feminismus, Ironie, Witz: die schier endlosen Möglichkeiten des Themas beweisen 35 Künstlerinnen und Künstler vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Seit der Antike wurden "Tableaux vivants" bei Festzügen und Prozessionen inszeniert, auch Goethe begeisterte sich dafür, und das Posieren nach historischen Bildern eroberte großbürgerliche und adelige Salons. Die Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhundert brachte die "Tableaux vivants" ins Bild zurück. Flügge geworden, lösten sie sich von der Vorlage und wurden zur eigenständigen Kunstform. Foto, Film und Video steigern das irritierend-faszinierende Spiel zwischen Fiktion, Traum und Wirklichkeit in ungeahnte Dimensionen. Lustvoll plündern Zeitgenossen die Kunstgeschichte, deuten bedeutungsvolle Versatzstücke im Kontext der Gegenwart, um sich selbst oder andere sinnlich vielfältig ins moderne "tableau vivant" zu setzen. Madame Yevonde, Eleanor Antin, Rodney Graham, Bruce McLean, Arnulf Rainer, Liza May Post sind nur einige.
Visionär erscheinen die Pionierarbeiten. 1870 inszenierte Julia Margaret Cameron ihre Modelle als Madonnen oder tragische Heldinnen, um ihre Persönlichkeit zu unterstreichen. Die Spannung zwischen heiligem Ideal und sinnlicher Wirklichkeit macht bis heute die Faszinationen des "tableau vivant" aus. Die jüdische lesbische Künstlerin Claude Cahun fasste in asketisch-androgyner Pose unermüdlich ihr fragiles Selbst in Tableaux. Ihre Bilder aus den Dreißigern wirken wie die Maskenselbstbildnisse von Gertrud Arndt sehr aktuell. Cindy Sherman spielt seit Jahren konsequent mit verschiedenen Identitäten. Ihren nachgestellten, allgegenwärtigen Hollywood-Szenen fehlt das exakte Original, trotzdem erkennt man sie. Feministische Künstlerinnen wie Valie Export, Ulrike Rosenbach und Hannah Wilke nutzen historisch inszenierte Weiblichkeit aus der männlich dominierten Kunstgeschichte, um auf die vom Klischee geprägte Rolle der Frau hinzuweisen. Erschütternd sind Hannah Wilkes jüngere Tableaux vivants, in denen die Krebskranke schwer gezeichnet in alten Rollen posiert. Der Bezug zur Krankheit stellt sich unmittelbar schmerzhaft ein.
René Magritte ist als Fotograf zu entdecken, Marcel Duchamps beweist Innovationskraft: zwischen 1920 und 1941 spielte er mit Geschlechterrollen, posierte als Frau unter dem prototypischen Namen "Rose Sélavy". In zeitgemäßem, poppig-kitschigem Gewand kehrt das Gender- Thema bei Pierre et Gilles und Gilbert & George wieder. Humoristisches findet sich bei Karl Valentin, der seinen mageren Körper als "lebende Karikatur" inszenierte. Witzig-skurril agiert in der Tradition der Pose Christiane Seiffert: sie imitiert gekonnt selbst Tiere, Bauten und Skulpturen. In erschütternde Tiefendimensionen dringen Jeroen de Rijke und Willem de Rooij vor. Sie bitten im Video "Junks" Drogenabhängige fünf Minuten um ruhiges Posieren. Das "Tableaux vivant" wird zum kaum erträglichen Zeugnis gebrochener Persönlichkeiten. Blicke wandern, Köpfe kippen unwillkürlich aus dem Bild, hilflose Grimassen können nichts mehr kaschieren. Fünf Minuten wie eine Ewigkeit.
Bis 25. August täglich 10-19, Donnerstag 10-22 Uhr