Lebensgefährliche Versuchung

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"Wundermittel" für mehr Potenz, gegen Krebs, Appetitzügler und Psychopharmaka - auf dem Vertriebsweg Cyber Space ist alles erhältlich.

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"Wundermittel" für mehr Potenz, gegen Krebs, Appetitzügler und Psychopharmaka - auf dem Vertriebsweg Cyber Space ist alles erhältlich.

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Potenzmittel, die keine sind, Appetitzügler, die das Hormonsystem aus dem Gleichgewicht bringen und angebliche Krebsmittel: Arzneimittel aus dem Internet, beworben mit unseriösen Informationen, gefährden die Gesundheit der Verbraucher." Der deutsche Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) schlägt Alarm. Es ist in diesem Zusammenhang sogar von "lebensgefährlich" die Rede.

Was bereits weltweit über das Internet angeboten, verkauft und dem Kunden bis vor die Haustür geliefert wird, erstreckt sich von der Potenzpille Viagra, über Hormone, Präparate, die Muskeln wachsen lassen, Psychopharmaka bis zu vermeintlichen Wundermitteln zur Krebsbehandlung. Rezeptpflichtige Medikamente können jederzeit per Mausklick bestellt werden. Das haben auch Testkäufe aus dem Internet bestätigt: hochwirksame und streng rezeptpflichtige Medikamente wurden ohne Gebrauchsinformation in gewöhnliche Plastiksäckchen verpackt und verschickt.

Auf der Homepage eines virtuellen Arzneiverkäufers wird beispielsweise das Psychopharmacon Prozak als "Wundermittel" angepriesen gegen "Depressionen, unkontrollierten Appetit und Zwangsstörungen im Gespräch. Aber auch bei Bulimie, Migräne, Autismus, Panikattacken, Schizophrenie und sogar extremer Gewalttätigkeit kann Prozak helfen."

Weiters im Angebot der Internethomepage sind "Andro 50 - Muskelaufbau leicht gemacht", "Viagra - endlich wieder ohne Sorge", "Zocor zur Senkung der Blutfette" und "DHEA und Melatonin, mit dem die Libido gesteigert und das Krebsrisiko verringert werden können".

Der Vertriebsweg Cyber Space ist in Österreich allerdings gesetzlich verboten. Doch das grenzenlose Geschäft kümmert das Arzneimittelrecht der einzelnen Staaten wenig. Die Branche boomt, und die Kunden ziehen mit. Eine Befragung des renommierten deutschen "Emnid"-Instituts kam zu dem Ergebnis, "daß die Nutzung des Arzneimittelangebotes im Internet zukünftig einen beträchtlichen Anstieg erfahren wird." Gerade bei Medikamenten, die Patienten aus langjähriger Erfahrung bekannt oder ohnehin frei verkäuflich sind, besteht keinerlei Mißtrauen oder Verdacht hinsichtlich der eigenen Gesundheitsgefährdung, heißt es in der Studie. Von den über 1.000 befragten Deutschen gaben jedoch nur ein Prozent an, bereits Medikamente aus dem Internet bestellt zu haben. Eine künftige Nutzung dieser Möglichkeit können sich allerdings rund 20 Prozent der Befragten vorstellen.

Die Bezahlung der virtuellen Einkäufe erfolgt meist über Abbuchung per Kreditkarte. Für den Verbraucher gibt es keinerlei Garantie, ob das auf der Homepage angepriesene Medikament tatsächlich den angegebenen Wirkstoff enthält. Die Beratung wird naturgemäß vernachlässigt, nach dem Motto: "Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte Ihr Internet oder den Postboten," kritisiert der BPI.

Dazu kommt, daß viele der Vertriebsfirmen im Internet bei einem Schaden für den Patienten schwer auszuforschen sind. Bei Problemen kann das virtuelle Unternehmen kaum jemals rechtlich belangt werden. Die Vertriebswege und der Ursprung der Medikamente bleiben ebenfalls ominös. Schätzungen zufolge sind sieben Prozent der weltweit gehandelten Arzneimittel gefälscht. Daß diese Plagiate künftig verstärkt über das Internet vertrieben werden, ist anzunehmen. Beispiele dafür sind Antibiotika ohne Wirkstoffe und Hustensäfte aus Glykol.

Pille vom Cyber-Doc In den USA ist der Internethandel bereits einen Schritt weiter. Hier haben sich inzwischen auch Cyber-Docs im Netz etabliert. "Sie sind häufig an amerikanische Internet-Arznei-Verkäufer gebunden und bieten dem virtuellen Patienten ihre medizinischen Kenntnisse an. So ist es möglich, mit dem ,Doc' über die persönliche Krankheit zu ,chatten', um hernach von ihm ein Rezept für verschreibungspflichtiges Arzneimittel zu erhalten", berichtet Professor Rüdiger Vogel, Vorsitzender des BPI von der gängigen Praktik. "Wenn Arzneimittel so leicht wie Gummibärchen bestellt und kosumiert werden können, wird die Bedeutung des Medikaments trivialisiert, die Grenze zwischen Genuß- und Arzneimittel aufgeweicht und dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet."

Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich kürzlich des neuen Problems angenommen und warnt Konsumenten eindringlich davor, Medikamente aus dem Cyber Space zu bestellen.

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