Lebensgier und Todessucht

Werbung
Werbung
Werbung

"Krankheit der Jugend" von Ferdinand Bruckner als Burgtheater-Produktion im Kasino am Schwarzenbergplatz.

In der Orientierungslosigkeit einer völlig veränderten Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg werden am Thema Jugend die neuralgischen Punkte einer Zeit, der die bürgerlichen Werte abhanden gekommen sind, festgemacht.

Ferdinand Bruckner erzählt in seinem 1923 entstandenen Stück vom Leben sieben Jugendlicher, deren "Krankheit" sich in völliger Haltlosigkeit begründet. Schauplatz ist eine Wiener Pension, in der sich die Figuren um die emotionale Talfahrt der Medizinstudentin Marie reihen. Innerhalb der Brüchigkeit einer konturenlos gewordenen Welt steht also eine Lebensphase, die mit Hoffnung, Aufbruch, Zukunft und Perspektive verbunden ist und der in der realen Welt der Inflation nichts anderes bleiben als Fluchtwelten aus Morphium und Kokain, der Rausch einer unbeholfenen Sexualität, einer Liebe, die die Grenzen zwischen Vereinnahmung und Abgrenzung nicht mehr wahrnimmt. "Entweder man verbürgerlicht oder man begeht Selbstmord", sagt Desiree, die den letzten "Kick" im Suizid sucht.

Der junge Regisseur Albert Lang und sein Dramaturg Christian Ruzicska haben sich für die scheinbar harmlosere Schlussversion des Schauspiels entschieden: So stirbt Marie nicht - wie ursprünglich von Bruckner vorgesehen - auch durch Selbstmord, sondern entscheidet sich für die fragwürdige Bürgerlichkeit der Ehe. Eingebettet ist die Inszenierung in einen Bogen zwischen Nenas in den achtziger Jahren entstandenen Song "Irgendwo, irgendwann, fängt die Zukunft an" und spielt auf einer mittels einer Glaswand in zwei Räume geteilten Bühne. Sozusagen in einem Bereich der Authentizität und in einem, in dem die Stimmen nur mehr verzerrt und verfremdet wahrgenommen werden, in dem alles erlebt und nichts mehr gefiltert werden kann.

Tamara Metelka als Marie spannt den Bogen zwischen Lebensgier und tiefem Schmerz, in ihren roten Kleidern wirbelt sie über die Bühne und erzählt differenziert von der Verzweiflung einer verlassenen Geliebten, der scheinbar nur noch mit Hohn begegnet wird und deren Neugierde all die Resignation besiegen will. Jana Becker verkörpert die mondäne, exaltierte Gräfin Desiree, die alles erfahren, alles gesehen hat, die nur noch distanziert eine Welt wahrnimmt, die ihr nichts mehr bietet als eine Überdosis Veronal, und Nicki von Tempelhoff ist als Freder kühl kalkulierend, erfolgreich in der Manipulation und der Demonstration seiner scheinbaren Macht.

Ein klare und definierte Produktion eines jungen Teams, das mit einer ausgezeichneten und homogenen Ensembleleistung von Sinn- und Perspektivenverlusten berichtet, aber zugleich auch die Frage aufwirft, ob in neuen Welt- und Wertesystemen nicht auch Freiräume entstehen können, ja sogar Platz für konstruktive Alternativen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung