Lebenswerk eines Giganten

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Die Chance, Goethe einer weiteren Generation ans Herz zu legen.

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Die Chance, Goethe einer weiteren Generation ans Herz zu legen.

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Jede Generation liest ihren Goethe neu. Aber dazu muß sie ihn auch haben. Der 250. Geburtstag am 28. August bietet jetzt schon Gelegenheit, ihn zu besonders günstigem Preis einer weiteren Generation ins Regal zu stellen und damit ans Herz zu legen, denn die 14 Bände der Hamburger Ausgabe sind als Dünndruck-Jubiläumsausgabe zu weniger als dem halben Preis der nach wie vor erhältlichen regulären Ausgabe zu haben. Die Hamburger Ausgabe geht auf das Jahr 1948 (Goethes 200. Geburtstag stand bevor!) zurück, wurde von Erich Trunz ediert und dank ihrer Leserfreundlichkeit sehr erfolgreich. Leserfreundlichkeit bedeutet hier aber keine Abstriche von der editorischen Sorgfalt.

Jedem sein Goethe, wobei der Goethe der Schauspielerin, die vor 15 Jahren als Stella brillierte und nun die Cäcilie probt, ein anderer ist als der Goethe des Lyrikfreundes, der zum West-östlichen Divan greift, ja selbst der Faust des Philosophen ein anderer als der des berühmten Regisseurs, der um den Text herumschleicht wie die Katze um den heißen Brei (obwohl er ihn schon einmal inszeniert hat), und mancher lernt den Naturwissenschaftler Goethe früher kennen als den Dichter.

Womit wir bei einem der Punkte wären, die dem Rezensenten die Hamburger Ausgabe besonders sympathisch machen: Nicht jede enthält die Farbenlehre, hier ist es der Fall. Der Dichterfürst konnte sich mit dem naturwissenschaftlichen Denken, das Isaac Newton repräsentierte, nicht anfreunden und machte sich mit einem Glasprisma und allerlei sinnreichen Vorrichtungen daran, ihn zu widerlegen. Newton behielt bekanntlich recht und Goethes Farbenlehre hat den Ruf eines Werks, das uns nichts mehr zu sagen hat. Tatsächlich kann man sie, trotz Goethes Wüten gegen die Windmühlenflügel der Physik, als Zeugnis einer komplementären Weltsicht mit Gewinn lesen. Die Wirklichkeit hat offenbar zwei Seiten, sich den Naturphänomenen von Goethes Seite zu nähern, kann ein bereicherndes Erlebnis sein.

Die Hamburger Ausgabe enthält alle wichtigen Werke. Nur der Goethe-Kenner wird Lücken entdecken. Dafür glänzt sie mit besonders umfassenden Namens- und Sachregistern, und zwar auf dem jüngsten Stand der Goetheforschung, denn die Jubiläums-Ausgabe basiert auf der erst vor zwei Jahren erschienenen 16. Auflage. Bedeutende Sachkenner helfen, sich das Lebenswerk des Giganten zu erschließen. Sie müssen keine Germanisten, sie können auch Physiker sein: Carl Friedrich von Weizsäckers Aufsatz über "Einige Begriffe aus Goethes Naturwissenschaft" ist ein ganz besonderes Fundstück, er verbindet tiefe Goethe-Verehrung mit fundierter Goethe-Kritik: "Wie so oft, verriet sich das Mißlingen durch Polemik ... Wir heutigen Wissenschaftler sind in unserem Fach Schüler Newtons und nicht Goethes. Aber wir wissen, daß diese Wissenschaft nicht absolute Wahrheit, sondern ein bestimmtes methodisches Verfahren ist. Wir sind genötigt, über Gefahr und Grenzen dieses Verfahrens nachzudenken. So haben wir Anlaß, gerade nach dem in Goethes Wissenschaft zu fragen, was anders ist als in der herrschenden Naturwissenschaft."

Goethes Werke Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Herausgeber Erich Trunz Verlag C.H. Beck, München 1998, 14 Bände, 11.000 Seiten, davon 3.000 Seiten Kommentare und Register, Ln., Schmuckkassette, öS 1.825,-

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