Lebte für Liebe und Kunst

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Puccinis Tosca, die Frauenfigur zwischen Wildheit, Naivität, Gläubigkeit und Künstlertum, ist in der Männerwelt zum Untergang verurteilt. Notizen zur Grazer Aufführung

Seit der Uraufführung am 14. Jänner 1900 in Rom waren die Reaktionen der Kritiker auf Puccinis wohl extremstes Werk, die Geschichte der frommen, leidenschaftlich liebenden und schließlich mordenden Primadonna, geteilt. Was hat es nun tatsächlich mit der Gestalt der Floria Tosca auf sich?

"Als Künstlerin ist sie unvergleichlich, aber erst die Frau! Ach, die Frau!", ist in Victorien Sardous mit Sarah Bernhardt in der Titelrolle 1887 in Paris uraufgeführtem fünfaktigem Drama zu lesen, "und dieses köstliche Geschöpf ist auf den Feldern aufgelesen worden, in völliger Wildheit. Die Benediktinerinnen von Verona, die sie aus Mildtätigkeit aufgenommen hatten, haben ihr nichts weiter beigebracht als Lesen und Beten." Bereits in Puccinis literarischer Vorlage war also das Spannungsfeld abgesteckt, in dem sich Tosca bewegt: zwischen Wildheit, Naivität, Gläubigkeit und Künstlertum.

Mit Tosca prallen Realität und Kunst zum ersten Mal in der Oper in tödlich realistischer Ausweglosigkeit zusammen: "Die Stimmung ist nicht romantisch und lyrisch, sondern leidenschaftlich, qualvoll und düster", schrieb Puccini an seinen Librettisten, "hier haben wir es nicht nur mit liebenswürdigen, guten Mensch zu tun, sondern auch mit abgefeimten Schurken. Und unsere Helden werden diesmal nicht weichherzig sein, sondern entschlossen und tapfer. Mit Tosca wollen wir das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen aufrütteln und ihre Nerven ein wenig strapazieren. Bis jetzt waren wir sanft, jetzt wollen wir grausam sein." Die unzähligen Glocken Roms, die in der Musik erklingen, läuten zugleich auch das Ende der emphatisch schönen Kunst ein. Die sich verzweifelt in den Tod stürzende Primadonna ist dabei auch ein Symbol der in der Männerwelt zum Untergang verurteilten Frau. Ihre einzige Macht ist der letztlich machtlose Gesang. Dadurch wird sie zur letzten Heldin des Belcanto.

Toscas prinzipielle Fremdbestimmtheit wird in der Hast und Getriebenheit deutlich, in der sie die Oper durcheilt. Unaufhörlich, vom ersten bis zum letzten Akt, ruft sie den Geliebten, definiert sich ganz aus seiner Antwort. Scarpia, der sadistische Polizist, ist dem naiven Naturkind an Verschlagenheit weit überlegen. Das ist Toscas Untergang. Die reale Gewalt eines unmenschlichen politischen System, aus dem es kein Entrinnen gibt, entzaubert nicht nur die Kunst, sondern auch den Glauben. Und die Liebe wird zur unlebbaren Utopie: "Ich lebte für die Kunst, lebte für die Liebe. Warum, warum o Herr, warum belohnst du mich nun so?"

"Tosca" wird derzeit in Linz und Graz gespielt. In der Grazer Inszenierung umgab Regisseur Dietmar Pflegerl seine Tosca mit zeitgeistiger Nonchalance, was der Figur zwar Frische und Kindlichkeit verlieh, jedoch um den Preis der Glaubwürdigkeit; zu grell der Gegensatz zur verzweifelten Mörderin. Im Zentrum die Brutalität des Polizeistaats. Das selbstreflexive Moment des Werks, die Krise der absoluten Kunst, blieb unterbelichtet.

Das Grazer Philharmonische Orchester - am Pult Wolfgang Bozic - realisierte Puccinis vielgestaltige Partitur mit Verve. Durchwegs tadellos die Sänger: Marquita Lister (Tosca), Evan Bowers (Cavaradossi) und Boris Trajanov (Scarpia), wenn sie sich gegen das geballte Orchester auch nicht immer durchsetzen konnten.

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