Legenden zum Fall der Berliner Mauer

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Kaum zu glauben, dass alles 20 Jahre her ist: Die Medien haben zumindest in Deutschland über den Fall der Mauer so umfangreich berichtet, als hätte sich das Jahrhundert-Ereignis gestern zugetragen.

Dabei neigen sie allerdings dazu, ihre eigene Rolle zu verklären und Geschichte zu klittern. Das Ende des „antifaschistischen Schutzwalls“ der DDR, sei – so der Mythos – vor allem dem West-Fernsehen zu danken, das mit seinen Nachrichten, aber auch mit seinen Reklame-Verlockungen wie ein trojanisches Pferd in den Osten eindrang und dort die repressiven Regime zu Fall brachte. Wäre das so simpel, dann hätte die friedliche Revolution, die Ost- und Mitteleuropa die Freiheit beschert hat, wohl in der DDR beginnen müssen, denn mangels Sprachbarriere wurde sie viel unmittelbarer mit TV-Programmen aus der Bundesrepublik berieselt und infiltriert als die anderen Satelliten der damaligen Sowjetunion.

Tatsächlich herrschte in Russland, Polen und anderswo jedoch längst Glasnost, bevor die Ostdeutschen Honecker und Krenz davonjagten. Das soll nicht heißen, dass die Medien, zumal das Fernsehen, gar keine Rolle gespielt hätten. Medienwirkungen hat es fraglos gegeben – aber eben weniger direkt, als es viele Journalisten und manche Medienforscher wahrhaben wollen.

Sogar im wohl größten Medienmuseum der Welt – dem Newseum in Washington – wird munter an der Legende gestrickt. Dies und der Mauerfall selbst sind wiederum ein Anlass, daran zu erinnern, dass heute eine kaum minder monströse Grenzbefestigung die USA von ihrem südlichen Nachbarn trennt. Sie wurde aber nicht etwa von den Mexikanern gebaut, um sich vor den „Imperialisten“ im Norden zu schützen. Architekten des Schandmals sind die Amerikaner, die sich selbst und ihre Nachbarn terrorisieren – im Wahn, so lasse sich Terror und illegale Einwanderung bekämpfen. Warten wir also ab, wie lange das Fernsehen braucht, bis es auch diesen eisernen Vorhang schleift.

* Der Autor ist Kommunikationswissenschafter in Lugano/CH

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