Leicht verderbliche Bestandteile

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Von der Nachrichtensendung bis zum Infotainment: Information im Fernsehen ist weit mehr als die klassische "Zeit im Bild".

Fernsehen in Österreich war eine Spätgeburt. In den usa, in Großbritannien oder in Deutschland hatte man bereits Mitte der 30er Jahre mit Sendungen begonnen, ehe der 2. Weltkrieg den Aufbau des neuen Mediums stoppte. In Deutschland übertrug 1936 der Reichsrundfunk teilweise die Olympischen Sommerspiele in Berlin. Es gibt Fotos, auf denen man in abgedunkelten Räumen Menschen vor einem großen Kasten mit kleinem Bildschirm erkennen kann. Wo sie die sportlichen Ereignisse verfolgen konnten, die zur selben Zeit im fernen Berlin abliefen, sich als Pioniere eines neuen Medienzeitalters fühlten, ist nicht überliefert. Aber was sie sahen, können wir heute unter den Begriff "Infotainment" reihen. Das Kunstwort aus "Information" und "Entertainment" bedeutet in seiner wertfreien Interpretation nichts anderes als etwas, das zugleich informativ und unterhaltend ist. Die Übertragung einer Sportveranstaltung ist im Idealfall genau dieses.

Für das österreichische Fernsehen, das vor 50 Jahren die ersten Schritte tat, waren die Olympischen Winterspiele 1956 in Cortina d'Ampezzo mit den Siegen von Toni Sailer ein wichtiger Impuls. Die erste Nachrichtensendung war eine Wochenschau unter dem Titel Zeitspiegel. Aber schon bald kam die Zeit im Bild (© Thaddäus Podgorski), damals wie heute um 19 Uhr 30. Schwierig war die Materialbeschaffung: 16 mm-Filme mit Auslandsnachrichten wurden per Flugzeug angeliefert, eigene Berichte waren teuer, der Zeitaufwand zwischen Drehen über Entwickeln, Schneiden und Texten bis zum Abspielen war enorm. Das schnellste Medium blieb bis zur Magnetaufzeichnung auf Videoband das Radio.

Infotainment von Anfang an

Information im Fernsehen besteht aber nicht nur aus den klassischen Nachrichtensendungen vom Typ der Zeit im Bild. Eine der frühesten Informationssendungen in Österreichs Fernsehversuchsprogramm war die Diskussion der Chefredakteure. Zeitzeugen versichern, dass etwa die späteren Auseinandersetzungen zwischen Franz Kreuzer (Arbeiterzeitung) und Otto Schulmeister (Die Presse) auch hohen Unterhaltungswert hatten. Lassen sich Sendungen, die Information zu den Konsumenten transportieren, überhaupt entweder unter "Information" oder unter "Infotainment" rubrizieren?

Matthias Horx, der Trendforscher, bezeichnet Infotainment ohne weitere Wertung als Stilmittel zur Übertragung von Information. Roger de Weck, der Schweizer Publizist, der auch Chefredakteur der Hamburger Zeit war, definiert Infotainment hingegen als "die Bewertung von Nachrichten nicht nach ihrer Wichtigkeit, sondern nach dem Effekt und dem Affekt. Die Verpackung wird dann oft wichtiger als der Inhalt". Er spricht damit jenen aus der Seele, die Infotainment in erster Linie als Schimpfwort verwenden.

Vor zehn Jahren gab es in Österreich eine zeitweise heftige Debatte zum Thema Boulevardisierung der tv-Information. Anlass war der Fall eines kleinen Mädchens mit schwerer Tumorerkrankung. Die Eltern hatten das Kind der schulmedizinischen Behandlung entzogen und waren mit einem "Wunderheiler" nach Spanien geflüchtet. Schließlich kehrten sie nach Österreich zurück, und das Kind, dessen Tumor akut lebensbedrohend gewachsen war, wurde chemotherapiert und danach erfolgreich operiert. Der Fall bewegte ganz Europa.

Der Fall Olivia P.

Dem orf wurde der Vorwurf gemacht, zu ausführlich, zu reißerisch oder überhaupt berichtet zu haben. In der Mediendebatte ging es also sowohl um Inhalt als auch um Verpackung. Aber das Argument "So eine Geschichte gehört nicht in eine seriöse Nachrichtensendung" zielt an der Medienrealität vorbei.

Hier stellten sich doch Fragen von großer ethischer Bedeutung: Dürfen Eltern - wiewohl in bester Absicht - das Leben ihres Kindes gefährden, indem sie eine von der Schulmedizin (im konkreten Fall die Spezialklinik St. Anna-Kinderspital in Wien) als notwendig erachtete Behandlung verweigern? Darf ein Gericht gegen den Willen der Eltern eine medizinische Behandlung anordnen? Dürfen Ärzte gegen den Willen der Eltern eine schwere chemotherapeutische Behandlung und eine Operation mit allen Risken durchführen? Aber anderseits: Darf ein leidendes Kind überhaupt "zur Schau gestellt" werden, auch wenn die Eltern selbst die Medien suchen, um ihrem Standpunkt größtmögliche Öffentlichkeit zu geben? Darf öffentlich-rechtliches Fernsehen in Konkurrenz zu privat-kommerziellem Fernsehen nach exklusiven Bildern eines kranken Kindes jagen? Aber noch einmal anderseits: Was, wenn gerade diese Bilder, auf denen der verheerende Fortschritt der Krankheit deutlich zu erkennen war, den Druck zur Rückkehr verstärkten und so zum guten Ende beitrugen?

Als damals zuständiger Chefredakteur will ich jetzt keineswegs den Eindruck erwecken, als wäre vor jedem Bericht über den Fall P. eine Gewissensprüfung aller Beteiligten gestanden. Wir haben sicherlich Fehler gemacht. Kritische Fragen nach Umfang, Präsentation oder Platzierung konnte man bei einzelnen Beiträgen und Sendungen durchaus stellen. Nur das Thema an sich war mit Bestimmtheit nicht in Frage zu stellen.

Der orf befindet sich mit seinen Fernsehprogrammen in einer besonderen Marktsituation. Seine Hauptkonkurrenten sind die deutschen kommerziellen Sender, die über Kabel oder Satellit von mehr als vier Fünftel aller österreichischen Haushalte empfangen werden können. Sender wie rtl oder Sat.1 haben sich im Lauf der Zeit Informationskompetenz erarbeitet, machen also den öffentlich-rechtlichen Anstalten auf deren ureigenstem Gebiet Konkurrenz - in Deutschland wie in Österreich.

Kompetenz der Privaten

Sie reagierten bei Ereignissen in Österreich oft rascher und flexibler als der orf. So beim Grubenunglück in Lassing oder beim katastrophalen Brand der Gletscherbahn in Kaprun. Ihre Übertragungswagen waren zum Teil früher am Ort, die geplanten Programme wurden radikal ausgeräumt, um Platz für maximale Berichterstattung frei zu machen. Während der tagelangen Suche nach den eingeschlossenen Bergarbeitern in Lassing, die mit der dramatischen Rettung des einzigen Überlebenden endete, riefen viele Zuschauer beim orf-Kundendienst an und beschwerten sich, dass "die Deutschen" viel mehr und viel länger und viel öfter und eigentlich ununterbrochen berichteten - und wieso nicht der orf? Gleichzeitig gab es Kritik, der orf habe dem Thema viel zu viel Zeit eingeräumt. Als ultimative Keule wird da gern das Wort "Quotengeilheit" geschwungen.

Der Begriff "Infotainment" in seiner negativen Besetzung kann mit geringen Ausnahmen nicht auf den Inhalt von Informationssendungen angewendet werden, sondern nur auf deren Gestaltung. Die Bereiche Information und Unterhaltung lassen sich nicht exakt trennen. Aus immer mehr Fernsehkanälen werden wir mit Informations- und anderen Reizen überflutet. Die "klassische" politische Berichterstattung als eines der Fundamente eines zumindest teilweise gebührenfinanzierten Rundfunks muss sich in diesem Umfeld behaupten und setzt auch Gestaltungselemente ein, die ursprünglich im Unterhaltungsbereich entwickelt wurden. Aber die Gestalter müssen sich auch der Gefahren bewusst sein: Die Form darf nicht den Inhalt überwältigen. Effekte dürfen nicht die Zuschauer manipulieren. Die Auswahl muss jederzeit der Forderung des Rundfunkgesetzes nach "umfassender Information der Allgemeinheit über alle wichtigen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Fragen" entsprechen. Das britische Magazin The Economist, Fackelträger einer grenzenlosen Marktwirtschaft, warnt angesichts der Entwicklungen vor allem auf dem englischsprachigen tv-Markt: "Man kann News ruhig als Ware behandeln. Aber man muss sorgfältig sein, denn News enthalten Bestandteile wie Vertrauen und Anständigkeit. Die sind leicht verderbliche Waren."

Der Autor, langjähriger tv- und Radio-Journalist, war 1994-98 Informations-Chefredakteur beim orf-Fernsehen, bis 2001 Intendant von Radio Österreich International.

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