Kaum ein Filmemacher der Jetztzeit besitzt eine so wiedererkennbare Handschrift wie der späte Clint Eastwood. Ein paar Sekunden vom schwermütigen Trompeter, dazu ein Blick auf filigrane Taglilien-Blüten, und im Guten wie im Schlechten ist man auch diesmal zurück in seinem Werk.
Im Guten, weil "The Mule", eine Kriminalgeschichte nach wahrem Vorbild, gerade dort sanft amüsiertes Kopfschütteln hervorruft, wo andere an den Haaren herbeigezogen wirken. Eastwood, Jahrgang 1930, spielt darin einen greisen Pflanzenzüchter, der zum erfolgreichsten Kurier des mexikanischen Drogenkartells wird. Bewusst aber, oder unbewusst? Wo endet die Unerschrockenheit des Kriegsveteranen, der jeden weiteren Tag als Geschenk nimmt und dessen Marotten verzaubern, und wo beginnt die pure Überforderung mit der Situation, mit der modernen Welt? Sam Dolnicks Artikel im New York Times Magazine, auf dem der Film basiert, kreiste um extremere Pole: Gerissen oder senil? Zwischen diesen Argumenten bewegte sich 2014 der Prozess gegen Leo Sharp, der exakt an seinem 90. Geburtstag zu drei Jahren Haft verurteilt wurde.
Eastwoods Blick und vor allem das Drehbuch von Nick Schenk, der einst auch jenes zu "Gran Torino" verfasste, gehen darüber hinaus: Gibt es den Punkt, an dem wir uns der Verantwortung für unser Tun und Lassen entziehen können, wo der Vertrauensgrundsatz, der u. a. Kinder und Ältere ausnimmt, nicht nur im Straßenverkehr in unseren Köpfen wirkt? An dem der Großvater, der "Neger" sagt, milde als unverbesserliches Relikt abgetan wird? Wäre "The Mule" nicht im Nebenstrang ein altbackenes Läuterungsmärchen, könnte er glatt für das Rausnehmen von Freiheiten plädieren. So aber ist er einer der Besseren aus Eastwoods Alterswerk, einer, dem man durch seine Ruhe und verblüffende Leichtigkeit die Einfalt und Theatralik in mancherlei Hinsicht verzeiht.
The Mule USA 2018. Regie: Clint Eastwood. Mit Clint Eastwood, Bradley Cooper, Dianne Wiest, Alison Eastwood. Warner. 116 Min.
