Leidenschaft des Erneuerers

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Otto Mauer - oder: Aggiornamento auf Österreichisch. Am 14. Februar wäre Otto Mauer (1907-73) 100 Jahre alt geworden. Intellektueller, Prediger, Publizist, Seelsorger, Vorreiter und Durchführer des II. Vatikanums in Österreich, Ökumeniker der ersten Stunde, Dialogpartner des Judentums - und bis heute unerreichter (und unverstandener) Brückenbauer zwischen Kirche und Kunst: Kein furche-Dossier könnte dieser prägenden Priesterpersönlichkeit auch nur ansatzweise gerecht werden. Dennoch der Versuch, Otto Mauer ein wenig dem Vergessen zu entreißen. redaktion: otto friedrich, cornelius hell

Die Idee war originell. Das Symposion sollte "Theologie als empirische Wissenschaft" heißen und im Herbst stattfinden. Denn, so die Debatte im Vorstand des Katholischen Akademikerverbandes, was ist Theologie sonst als die Reflexion von Erfahrungen, von religiösen Erfahrungen, und jede Theologie wird nutzlos, die sich von diesem Gegenstand ihres Nachdenkens verabschiedet. Für Otto Mauer, Geistlicher Assistent des Akademikerverbandes, gab es Anfang September freilich Wichtigeres zu tun. Zum zweiten Mal führte Pro Oriente in Wien Gespräche mit Vertretern der altorientalischen Kirchen (vgl. Seite 24). Dann war es zu spät. Am 3. Oktober 1973 starb Otto Mauer. Das Symposion hat nie mehr stattgefunden.

Theologe ohne Titel

Erfahrungsgesättigt war die Generation Otto Mauers. Sie wusste, was einer politisierenden Kirche zum Verhängnis werden konnte und was sie im Widerstand gegen Unterdrückung gewonnen hatte. "Otto Mauer war ein außerordentlicher, origineller Theologe. Ein Theologe ohne Titel und akademischen Auftrag", formulierte Kardinal König 20 Jahre nach Mauers Tod. Wenn man nach der Eigenart dieser nichtakademischen Theologie fragt, so zeigt sie sich in der unmittelbaren Beziehung zur Erfahrung der erlebten Geschichte, der gegenwärtigen Welt. "Die Theologie muss sich etwas umschichten", sagte er 1972. "Bis jetzt hat sie die Welt an vorgefertigten Prinzipien dogmatischer Natur gemessen […]. Sie hat das Faktisch Geschichtliche, das eben jetzt sich Ereignende und Auftauchende und damit die jeweilige Novität immer an vorgefassten Maßstäben gemessen. Sie hat niemals verstanden, dass hier ein theologischer Topos vorhanden ist".

Theologischer Topos: Gott spricht nicht nur aus Schrift und Tradition, er offenbart sich ebenso in den Herausforderungen der jeweiligen Gegenwart. Paulus, meinte Mauer, habe durchaus "Theo-logie als Faktologie begriffen". Aus den Erfahrungen mussten Schlüsse gezogen werden, dazu wäre diesem Mann jeder Lehrstuhl ein Hindernis gewesen. Denn er begriff im Krieg und danach Unterdrückung wie Befreiung als Impulse zum Umdenken und wurde so zu einem der bedeutendsten Akteure der Kir-chenreform für vier Jahrzehnte.

Nach 1945 verstand Mauer den Wiederaufbau der Kirche sogleich als Wiederaufbau einer geistigen Kultur. Mit der Institution "Buch und Schrifttum", dem späteren "Literarischen Forum", half er die Tore zur Weltliteratur zu öffnen, die seit dem Anschluss versperrt waren. Und als er 1946 mit Karl Strobl die Zeitschrift Wort und Wahrheit gegründet hatte, stand ihm ein Organ zur Verfügung, in dem er bis zu seinem Tod klar machen konnte, dass Kirchenreform mehr ist als eine Turnübung im Ghetto. Hier wurde die große zeitgenössische Theologie importiert, hier wurden Rimbaud und Péguy abgedruckt, Gedichte von Ingeborg Bachmann oder Karl Krolow erschienen da, und schon im Jänner 1948 schrieb Franz König darin einen religionswissenschaftlichen Aufsatz; Friedrich Heer war einer der Autoren, und schon die ersten Hefte brachten Kunstblätter mit Werken von Herbert Boeckl.

Neues Verhältnis zur Politik

Zum Anspruch der Zeit gehörte ein neues Verhältnis zur Politik. Der große kirchenpolitische Konflikt der ersten Jahre betraf die alten Laienvereine, allen voran den CV, die durch ihre Nähe zum Ständestaat kompromittiert waren. Damals forcierten die Bischöfe dagegen die Katholische Aktion, und Otto Mauer erarbeitete bereits 1946 ein gesamtösterreichisches Konzept für deren verschiedene Gliederungen. Während die ÖVP nach wie vor vom CV dominiert war, gelang es Mauer, Wissenschaftler, Journalisten und Intellektuelle in einem Ausmaß für die Kirche zu interessieren, wie das außerhalb der traditionellen Verbindungen bis dahin unmöglich war. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung war der Katholikentag 1952, der eine freie Kirche im freien Staat postulierte. Mauers Katholikentagsrede im September war ein Akt der "Entsühnung" des Wiener Heldenplatzes, eineinhalb Jahrzehnte nachdem ebendort Adolf Hitler den Untergang Österreichs ausgerufen hatte.

Heldenplatz-"Entsühnung"

Mit der Wahl Papst Johannes' XXIII. begann für Otto Mauer eine weitere Phase seiner Reforminitiativen. Im November 1958 schrieb er, dass es jetzt um "die endgültige Gewinnung der Laienschaft" ginge, um "die Entfaltung demokratischer, brüderlicher Methoden der Mitbeteiligung der Laien am kirchlichen Leben". Das war zwei Monate, bevor der neue Papst überraschend das Konzil ankündigte. Früher als andere hatte Otto Mauer die Notwendigkeiten der Zeit erkannt und seine Theologie als paulinische "Faktologie" entwickelt. Dazu sammelte er international Beiträge und veröffentlichte im Oktober 1961 gemeinsam mit Otto Schulmeister die "Umfrage zum Konzil" als Enquête der Zeitschrift Wort und Wahrheit, genau ein Jahr vor der ersten Konzilssitzung. Auf über 200 Seiten entwarfen darin 81 Persönlichkeiten ein umfassendes Programm. "Das Entscheidende" war für Mauer, "dass die Wirklichkeit der heutigen Welt nicht nur in ihren negativen, sondern auch in ihren positiven Charakteren […] in die Beratungen" einfließt. Allerdings musste dazu " - nach so langen Zeiten des Regiments von oben der Spontaneität und Eigenverantwortung entwöhnt - ein förderliches Klima" in der Kirche hergestellt werden.

Während sein Freund, der Pastoraltheologe Ferdinand Klostermann, als Konzilstheologe mit Kardinal König nach Rom ging, setzte sich Otto Mauer hierzulande unermüdlich für dieses förderliche Klima ein. Als Geistlicher Assistent bei den Akademikern, bei den Journalisten, im Katholischen Bildungswerk und als treibende Kraft im Österreichischen Pastoralinstitut war er der entscheidende Vorbereiter und Vermittler des konziliaren Aufbruchs. Während andere wie sein Kollege aus Jugendbewegung und Bund Neuland, Pfarrer Erwin Hesse, mitten im Konzil eine Kehrtwendung rückwärts machten, blieb Mauer der unbeirrte Inspirator einer zukunftsoffenen Kirche: Denn es gibt Katholiken, "die nicht immer die schlechtesten sind", sondern als "Non-Konformisten […] vielleicht einer Kirche von morgen angehören."

Kairos - rechter Augenblick

Nicht überall machte sich Mauer damit beliebt, und sein Engagement für die moderne Kunst stieß in traditionsbewussten kirchlichen Kreisen häufig auf Unverständnis. Umso bemerkenswerter, was der Energieschub des Konzils für Mauers Image bewirkte. Die ab 1969 tagende Wiener Diözesansynode war nun die geforderte "demokratische Methode der Mitbeteiligung". Wenn Otto Mauer in der Lainzer Konzilsgedächtniskirche, dem Versammlungsort der Synode, ans Rednerpult trat, verstummte das Gemurmel unter den Synodalen und seine Wortmeldungen hatten plötzlich das Gewicht einer prophetischen Ansage. Die Leidenschaft des Dompredigers zu St. Stephan und die intellektuelle, von vielen als arrogant empfundene Attitüde der Theologen verschmolzen zur hellsichtigen Zeitdiagnose, deren Wirkung sich auch seine Gegner nicht entziehen konnten.

Das hatte auch damit zu tun, dass Mauers Reformwille schon während des Konzils eine weitere Wendung genommen hatte. Er fügte seinen gezielten Grenzüberschreitungen zur Kultur, zur Politik, zur Kunst eine neue hinzu. Er war die treibende Kraft hinter der Stiftung "Pro Oriente", die Kardinal König 1964 gegründet hatte, und er engagierte sich im ökumenischen Gespräch mit den Protestanten. Kurt Lüthi, damals Professor an der Wiener Evangelisch-theologischen Fakultät, erinnerte sich noch viele Jahre später an die "Intensivdiskussionen" in Mauers Wohnung in der Singerstraße und in Ferdinand Klostermanns Haus am Semmering. "Kritik als Charisma" überliefert Lüthi als Diktum Mauers, denn "der Nachholbedarf der Kirche ist enorm". Und wieder taucht in diesem Zusammenhang Maurers Reformkriterium auf: Die gegenwärtige Erfahrung, der aktuelle Weltzustand muss erfasst werden, und also sprach Mauer mit Vorliebe von "Kairologie", denn der kairos, der rechte Augenblick, dürfe nicht versäumt werden.

Die vergessenen Zeichen

Die letzte Phase von Mauers Reformengagement war von seinem Widerstand gegen solche Versäumnisse geprägt. Er musste mit ansehen, wie Synodenbeschlüsse in bischöflichen Schubladen verschwanden und der Vatikan den Rückwärtsgang einlegte. Man könne sich "des Eindrucks nicht erwehren, dass gewisse kuriale Kreise" bemüht sind, die Konzilsbeschlüsse "umzuinterpretieren und umzumanipulieren". 1972 startete Wort und Wahrheit eine neue Umfrage über den status ecclesiae; Mauers Resümee im Vorwort: "Dass sich die römische Kirche in einer Krisensituation befindet […], hat sich als (einzige) einhellige Meinung der Befragten erwiesen." Der zunehmenden Tendenz, Kritik in der Kirche mundtot zu machen, setzte er seine "Kairologie" entgegen: Keiner Gruppe in der Kirche dürfe das Recht abgesprochen werden, sich kritisch zu äußern; "und warum sollten nicht gerade die Theologen auf die ,Zeichen der Zeit' aufmerksam machen dürfen, ohne Anspruch auf eine andere Autorität als die ihrer Argumente, und als Glieder der Kirche ihre Stimme erheben dürfen in einer Zeit, in der Christus in Agonie liegt?"

Christus in Agonie: Otto Mauer war um klare Worte nicht verlegen, und ihnen ist es zu danken, dass gerade die Reden und Texte aus seinen letzten Jahren nichts an Aktualität verloren haben. Vielleicht sollte ein neuer Anlauf genommen werden, um seiner "Theologie als empirische Wissenschaft" zum Durchbruch zu verhelfen gegen die weithin immer noch herrschende kirchliche Blindheit vor den Zeichen der Zeit.

Der Autor ist freier Publizist.

Schon 1941 hatte sich Otto Mauer in der Abhandlung Theologie der Bildenden Kunst mit dem Verhältnis von Glaube und Kunst auseinander gesetzt. Seinen Ruf als katholischer Avantgardist einer Beschäftigung mit der Kunst der Zeit erwarb er sich mit der Gründung der "Galerie St. Stephan" 1954. Die Galerie, die Mauer später - wegen innerkirchlicher Angriffe - hintersinnig in "Galerie nächst St. Stephan" umbenannte, machte die abstrakte junge Nachkriegskunst in Österreich und darüber hinaus bekannt. Vor allem der Aufstieg der österreichischen Avantgarde - Werner Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachensky, Arnulf Rainer - ist mit dieser Galerie und Mauer verbunden (vgl. Seite 22, 23).

Das Faible für Kunst und die Galeristentätigkeit machten Mauer auch zum bedeutenden Sammler. Die aus fast 3000 Exponaten bestehende Sammlung - von Herbert Boeckl, Alfred Kubin und Hans Fronius ausgehend ein Querschnitt vor allem österreichischer Kunst des 20. Jahrhunderts -, vermachte Mauer seinem Weggefährten, dem Akademiker-und Hochschulseelsorger Karl Strobl (1908-84). Dieser übergab die Sammlung 1980 der Erzdiözese Wien, die dazu den Otto Mauer Fonds errichtete, der Projekte im Bereich Erwachsenbildung-Wissenschaft-Kunst fördert und jährlich den Msgr. Otto Mauer-Preis an junge Künstler vergibt. Die Sammlung selbst wird vom Wiener Dommuseum verwaltet (vgl. dazu das Interview, Seite 23).ofri

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