Leon de Winter, der Artist überraschender Wendungen

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"Der Himmel von Hollywood" ist ein spannender Thriller, zugleich aber auch Literatur.

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"Der Himmel von Hollywood" ist ein spannender Thriller, zugleich aber auch Literatur.

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Hollywood, der große Menschenmagnet, der Ort der Verheißungen und Verlockungen, zieht die Leute an, preßt sie aus, schmeißt sie weg. Weh dem, der vorzeitig am Ende ist. Oder aus irgendeinem unvorhergesehenen Grund ohne Altersversorgung dasteht. Um von denen, die nicht einmal den Einstieg geschafft haben, gar nicht zu reden. Alternde Schönheitsköniginnen zweiter Wahl putzen die Apartments oder servieren barbusig Drinks. Alternde Stadttheater-Liebhaber aus Europa, denen ein paar gute Kritiken zu Kopf gestiegen sind, verkaufen Elektrogeräte oder arbeiten als Chauffeure. Alle träumen sie noch immer von der großen Karriere, und sie werden wohl davon träumen, bis sie tot sind. Keiner denkt daran, Hollywood zu verlassen. Mit allzugroßen Tönen sind sie von zuhause weggegangen. In dieser Hölle für Erfolglose spielt der neueste Roman von Leon de Winter: "Der Himmel von Hollywood".

Rodney Benson ist alt und fett geworden und bekommt längst keine Rollen mehr. Leider wollte er sein Erspartes etwas zu gierig vermehren, wodurch beim Börsencrash von 1987 alles draufging. Seither muß er froh sein, daß er mit seinen siebzig Jahren als Monteur einer Firma für Alarmanlagen arbeiten darf. Der Chef ist ein alter Fan von ihm und leistet sich den Oscar-Preisträger als Statussymbol und Werbeausgabe.

Benson ist aber bei weitem nicht der kaputteste, verzweifeltste Typ in diesem Buch. Der einst so erfolgreiche Jimmy Kage, dem der Ruf nachhängt, im Suff jede Produktion zu schmeißen, ist noch viel übler dran. Das einstige Luxushotel, in dem er logiert, ist zum besseren Obdachlosenquartier herabgekommen, und wovon er eigentlich lebt, weiß niemand genau. Am miesesten aber geht es der Hauptfigur Tom Green. Nach einer schiefgegangenen Liebesgeschichte gelingt ihm seit Jahren überhaupt nichts mehr. Nach einem geplatzten Filmprojekt, für das er bereits etliche Geldgeber gefunden hatte, ist er wegen Betruges ein paar Monate recht komfortabel im Gefängnis gesessen, nun darf er auf eine glanzvolle Karriere als Chauffeur einer 91jährigen Lady hoffen.

Daß, und warum, dieser Tom Green längst ein Multimillionär sein könnte, erfährt man erst am Ende. Leon de Winter ist ja als Artist der überraschenden Wendungen bekannt. Auch diesmal stellt er am Schluß alles noch einmal auf den Kopf, fällt auf die Figuren zuletzt ein völlig anderes Licht. "Der Himmel von Hollywood" ist ein überaus spannender, geschickt gebauter, gut verfilmbarer Thriller mit so ungefähr allem, was zu diesem Metier dazugehört, dabei aber zugleich auch ein interessantes literarisches Buch. Es geht darin nicht zuletzt, und nicht zum erstenmal bei Leon de Winter, mit mehrfachen Brechungen und auf vielen Umwegen um das ambivalente Verhältnis zur jüdischen Identität, doch auch dies wird erst knapp vor dem Ende enthüllt, wenn wir erfahren, wer Tom Green ist - oder war.

Green, Kage und Benson planen ein Verbrechen. Wie die Idee dazu Macht über sie gewinnt, wie zum realen Plan wird, was zunächst wie ein schrulliger Einfall wirkte, wie dabei die gruppendynamischen Prozesse laufen, wie sie einander bei der Stange halten und ihr Gewissen beruhigen, indem sie einander versichern, daß es ja gar kein Verbrechen sei, Verbrechern gestohlenes Geld abzunehmen, und wie Jimmy Kage die Szene fast geschmissen hätte: Das alles ist ebenso überzeugend in die Vorbereitung und Durchführung des Unternehmens eingeflochten wie die Vorgeschichte der Figuren. Leon de Winter stellt ein weiteres Mal seine Fähigkeit unter Beweis, vordergründige Spannung, Interesse an der Psychologie seiner Figuren und sprachliches Niveau gleicherweise durchzuhalten und der Story immer wieder neue Wendungen zu geben.

DER HIMMEL VON HOLLYWOOD Roman von Leon de Winter Verlag Diogenes, Zürich 1998 366 Seiten, geb., öS 307,

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