Lesen ist Frauensache

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Eine Ausstellung in der Salzburger Residenzgalerie entdeckt das Motiv "Still Lesen".

Die Mutter fährt mit dem Zeigefinger die Zeile entlang, das kleine Mädchen vertieft sich mit geröteten Wangen aufmerksam in den Text: "Magnificat anima mea." Es sind die Heilige Anna und die kleine Maria, die sich als "Leseübung" den Preisgesang der künftigen Gottesmutter vorgenommen haben: "Die Heilige Anna lehrt Maria das Lesen" - ein Motiv, das in der anregend präsentierten Sonderausstellung "Still lesen" in der Salzburger Residenzgalerie mehrmals zu entdecken ist. Die reizvolle thematische Verschränkung der Kindheitsszene mit dem späteren Lobgesang der erwachsenen Gottesmutter schuf Franz Joseph Rams- (oder Rabens-)perger um 1771.

"Die Unterweisung Marias", ein Ölgemälde von des Barockmalers Daniel Gran zeigt ebenfalls den Privatunterricht Marias. Hier gesellt sich der Vater, ebenfalls mit einem Buch in der Hand, dazu. Maria scheint überhaupt eine eifrige Leserin gewesen zu sein. Wie oft wird sie in ein Buch versunken dargestellt, wenn der Erzengel Gabriel mit seiner Botschaft zu ihr kommt!

"Still lesen" - heute selbstverständlich - ist eine Praxis, die sich erst über die Jahrhunderte herausgebildet hat. Lesen hieß zunächst immer auch, den Text laut zu deklamieren. Das war in der Antike selbstverständlich: "Die Sitte des lauten Lesens ermöglichte sogar den Toten gleichsam ein momentanes Wiederaufleben, wie ein heidnisches spätantikes Epigramm ausdrückt: ,Willst du wissen, dass der Dichter-Seher noch nach seinem Tod lebt, Wanderer? Was du liest, siehe, spreche ich; deine Stimme ist die meine'", zitiert Wolfgang Speyer in seinem Katalog-Beitrag. Noch der Heilige Augustinus wunderte sich, wie er in seinen "Bekenntnissen" berichtet, als er den Heiligen Ambrosius still lesen sah.

Die informationsreichen Essays im Ausstellungskatalog zeichnen die kulturhistorische Entwicklung vom lauten zum stillen Lesen nach und untersuchen die Auswirkungen der Rezeptionsweise auf die Psyche der Lesenden.

Alte Bücher oder ein "Leserad" aus dem Kloster Lambach ergänzen und bereichern die liebevoll präsentierte Lese-Schau: Das Drehpult macht es möglich, Textstellen in schweren Folianten ohne Krafttraining miteinander zu vergleichen.

Männer haben auf den Bildern übrigens oft geschlossene Bücher - quasi als Statussymbol - vor sich. Natürlich sind es in unzähligen religiösen Szenen auch Männer, die Bücher schreiben, lesen oder auslegen, die vier Evangelisten, die jüdischen Schriftgelehrten oder der eine oder andere Heilige. Tatsächlich aber - darauf weist die Ausstellungsgestalterin Gabriele Groschner nachdrücklich hin - ist das Lesen Frauensache: Frauen sind es, die sich in die Bücher versenken, wie etwa die "Lesende Frau" in einem Gemälde von Johann Fischbach.

Dass mit den Seiten eines Buch durchaus auch die dunkeln Seiten des Lesers aufgeblättert werden können, zeigt Carl Spitzweg mit dem "Teuflischen Schatten", den er hinter einem gespannt Lesenden an die Wand wirft. Das Gemälde von Onorio Marinari "Heilige Katharina in einem Buch lesend" verströmt dagegen jene Ruhe, die von jedem ausgeht, der sich zwischen den Zeilen verliert, um sich selbst zu finden.

Bis 3. Februar.

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