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Eine „ständige Vorrede“ sei eine Reise, „ein Vorspiel zu etwas, was immer erst noch kommen muss und immer erst noch hinter der Ecke wartet“. Das behauptet Claudio Magris, der im Oktober den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2009“ erhalten wird, in seinem Band „Ein Nilpferd in Lund“: „abreisen, ankommen, zurückkehren, die Koffer packen und wieder auspacken, im Notizbuch die Landschaft festhalten, die während der Durchreise entflieht, zerbröckelt und sich neu zusammenfügt wie eine Filmsequenz mit ihren Überblendungen und neuen Einstellungen oder wie ein Gesicht, das sich im Lauf der Zeit verändert.“

Die Landschaft wird dem Reisenden zur Durchreise – im Italienischen, jener Sprache, in der der 1939 in Triest geborene Autor schreibt, tönt diese Gleichsetzung fast wie ein Gesang: paesaggio è passaggio. Man muss nicht erst an ferne Länder denken, an weite Ebenen oder hohe Berge: Leser kennen diese Erfahrungen von Reisen der anderen Art. Auch ihnen werden Landschaften Durchreise, wenn sie nämlich Textland betreten. Leserinnen und Leser besuchen die Orte auf jeweils eigene Art, mit verschiedensten Interessen und in unterschiedlichem Tempo: „Der eine flitzt, der andere bummelt. Durch eine Stadt – eine Buchseite – kann man auf tausend Arten wandern: aufmerksam, langsam, sprunghaft, eilig, zerstreut, kurz und knapp, analytisch, dispersiv.“

Ich reise und reise, und was habe ich davon?

Paesaggio è passaggio: Manchmal wird dem aufmerksamen Reisenden etwas gewisser, oft genug kehrt man nach der Lektüre verwirrter zurück – und was heißt dann: „zurück“? Lesen wie Schreiben wie Reisen bedeutet: „zerlegen, neu ordnen, neu zusammensetzen; man reist durch die Wirklichkeit wie durch ein Theater, man verschiebt die Kulissen, erschließt neue Landschaften, verirrt sich in Sackgassen und gerät vor auf die Wand gemalten, blinden Türen ins Stocken.“ (Magris) Ein durchreister Text ist noch lange nicht erkannt, schon gar nicht besessen – ein Ankommen also weder Ziel der Reise noch überhaupt möglich.

„Manchmal frage ich mich, ob ich verrückt bin. / Ich reise und reise, und was habe ich davon?“, beginnt der leidenschaftliche Reisende Cees Nooteboom seine Erzählung „Der verliebte Gefangene“. Was macht für Nooteboom eigentlich den Charme des Reisens aus? „Daß sämtliche Erhaltungssysteme, über die man normalerweise verfügt, versagen. Man wird zu dem, was man wirklich ist, zu einem totalen Außenseiter, jemand, der nirgendwo hingehört … Das Reisen wird dann das, was es wirklich ist, ein Symbol für diese größere Reise, von der wir, wenn wir ganz ehrlich sind, auch nicht sehr viel verstehen: die Reise durch dieses irdische Tal der Tränen.“

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