Auf ein Wort
Es war der Tag, an dem Osama bin Laden getötet wurde - und nach einem Wochenende des Schlagzeilenwahnsinns heimischer Medien: von "Nervtöter Nr. 1 ist die Politik!“ (Krone) bis "0,7 Sekunden“ (Kurier über den Windsor-Hochzeitskuss). Im Parlament wurde einer Handvoll Journalisten der "Concordia-Preis“ verliehen - allen voran Hugo Portisch.
Als Chefredakteur hat er es einst geschafft, die Kluft zwischen Qualität und Auflage zu überwinden. Als Außenpolitiker hat er die Österreicher zu einer Weltoffenheit verführt, die es nicht mehr gibt. Als Volksbildner hat er Scheunen der Erinnerung an unsere Zeitgeschichte geöffnet. Als Journalistenvater hat er uns jungen Kollegen vorgelebt, was Wissen und Gewissen heißt.
Zeit- und Trivialisierungsdruck
Die Laudatio auf ihn zu halten, war ehrenvoll - und schwierig. Ich habe mich vorher gefragt: Wie sinnvoll und fair ist es, Portischs Maßstäbe an eine so veränderte Medienwirklichkeit anzulegen? Und: Welchen ethischen Freiraum haben Journalisten heute, angesichts eines von wenigen Konzernen beherrschten Markts - und in einem Land, in dem sich Politik, Wirtschaft und Medien auf engstem Raum ständig begegnen, bekämpfen oder verbrüdern? Und: Wie viel Anstand ist heute unter so hohem Zeit-, Personal-, Konkurrenz- und Trivialisierungsdruck noch möglich?
Um mich aus diesem Dilemma zu retten, habe ich es den Zuhörern überlassen, von den Portisch-Grundsätzen auf die konkrete Realität zu schließen. Vor allem im Verhältnis von Medien und Politik, Medien und ihren Konsumenten.
Von Hugo Portisch hatten wir damals u. a. gelernt:
• Dass Demokratie zwar Kontrolle braucht, aber auch Grundvertrauen. Dass Interviews also keine Verhöre sind, Kommentare keine Inquisitionsberichte - und Zeitungen keine modernen Pranger.
• Dass Journalisten keine Mitspieler der Politik sind, sondern Vermittler von Wirklichkeiten. Und dass beide, Medien und Politik, darauf verzichten sollten, das Spielfeld des anderen zu besetzen.
• Dass politische Willensbildung nicht immer "Streit“ und "Konflikt“ ist - und ein Kompromiss keine "Kuschelei“.
• Dass Journalismus kein Tummelplatz für Kreuzritter, Linientreue und Scheuklappenträger ist - und spätestens dort endet, wo die Narrenfreiheit beginnt.
• Dass Bildung nicht langweilig sein muss, sondern fesseln kann - und ihre Attraktivität erst aus den Zusammenhängen und Hintergründen wächst.
• Dass Leser nicht für dumm gehalten werden dürfen, sondern spüren sollen, dass man sie gerne hat.
Zement des Zusammenhalts
Schließlich habe ich von Erfahrungen mit einer neuen Journalisten-Generation erzählt, die handwerklich, vielleicht auch ethisch, besser gerüstet ist, als wir es waren. Die aber unter Arbeitsbedingungen produzieren muss, die sie oft zu bitteren Konflikten - und Kompromissen - mit ihrem Gewissen zwingt. Eine tragische Entwicklung, vor allem angesichts des Niedergangs so vieler sinnstiftender Institutionen. Wird also der Journalismus von morgen noch mithelfen können, den Zement unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts anzurühren? Ich bin nicht sicher.
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