"Let's keep it real"

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Em.o.Univ.-Prof. Dr. Josef Aicher, Vorsitzender der Schiedsinstanz für Naturalrestitution, www.entschaedigungsfonds.org

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Em.o.Univ.-Prof. Dr. Josef Aicher, Vorsitzender der Schiedsinstanz für Naturalrestitution, www.entschaedigungsfonds.org

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Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. So könnte man Franz Zoglauers Besprechung von Burgl Czeitschners Film mit dem programmatischen Titel "Let' s keep it" zusammenfassen. Zoglauer begnügt sich damit, vermeintlich skandalöse Beispiele aus dem Film wiederzugeben, ohne zu hinterfragen, ob das, was der Film suggeriert, überhaupt stimmen kann. Zoglauer schreibt, es gehe in dem Film um "Liegenschaften von jüdischen Österreichern, die von den Nationalsozialisten durch Beschlagnahme oder fadenscheinige Kaufverträge enteignet wurden und in öffentlichen Besitz" gelangt seien, und behauptet anschließend: "Erst seit dem Jahr 2001 ermöglichte ihnen das nach dem sogenannten Washingtoner Abkommen in Kraft getretene Gesetz eine Restitution." Das ist falsch. Im Jahr 2018 sollte - nicht zuletzt aufgrund der Berichte der Historikerkommission - allgemein bekannt sein, dass die Restitution von Liegenschaften nicht erst seit 2001 möglich war, sondern bereits in den 1940er-und 1950er-Jahren. Die zwischen 1946 und 1949 erlassenen sieben Rückstellungsgesetze sowie die aufgrund des Staatsvertrags eingerichteten, im Film nur beiläufig erwähnten Sammelstellen erfassten den Großteil der "arisierten" oder auf andere Weise entzogenen Liegenschaften. NS-Beschlagnahmungen wurden aufgehoben, entzogene Liegenschaften restituiert oder mittels Vergleich finanziell abgegolten. Es entspricht auch nicht den Tatsachen, dass von 2.315 Anträgen "auf Grund der gesetzlichen Vorgaben nur 611 Anträge auf Restitution von Bauten und Grundstücken geprüft werden" konnten. Selbstverständlich wurden alle Anträge eingehend geprüft, allerdings erfüllten nach dieser Prüfung nur rund ein Viertel die für eine Rückstellung erforderlichen Grundvoraussetzungen (Eigentum 1938, öffentliches Eigentum 2001) - die im Übrigen dem Washingtoner Abkommen entsprechen. Von den Anträgen auf Naturalrestitution, die diese Grundvoraussetzungen erfüllten, wurden 140 -also fast ein Viertel -empfohlen. Dass es nicht mehr waren, lag auch an den erwähnten, früheren Rückstellungsmaßnahmen. Auch die Darstellung der im Film behandelten Fallbeispiele, die Zoglauer unhinterfragt wiedergibt, bedarf einiger Korrekturen: Zoglauer behauptet, dass 1964 ein Brand zum Vorwand genommen worden sei, die Villa von Fritz Regenstreif in Wien Währing "zur Gänze abzureißen und durch einen hässlichen Neubau zu ersetzen", und Ellen Illich "mit einer geringen Summe abgefertigt" worden sei. Tatsächlich wurde die Liegenschaft zur Gänze rückgestellt. Ellen Illich erhielt bereits 1949 die auf sie entfallende Liegenschaftshälfte uneingeschränkt zurück. 1957 -also lange vor dem Brand und späteren Abriss -verkauften die Nachkommen von Fritz Regenstreif die restituierte Liegenschaft. Der Fall der "Präsidentenvilla" auf der Hohen Warte ist ähnlich verzerrt dargestellt. Zoglauer schreibt, dass der frühere Eigentümer nach dem Krieg "die stark beschädigte Villa zurück" erhalten und "für 145.000 Schilling einem Wiener Anwalt" verkauft habe, "der sie renovieren ließ und diese der Republik für 11,2 Millionen Schilling verkaufte." Der Umstand, dass zwischen dem ersten Verkauf 1951 und dem Weiterverkauf der renovierten Liegenschaft 1965 an die Republik Österreich 14 Jahre lagen, in denen die Immobilienpreise stark anstiegen, wird ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass der Kaufpreis neun und nicht 11,2 Millionen Schilling betrug. Wie im Fall Regenstreif wurde auch die "Präsidentenvilla" nach 1945 vollständig an die geschädigten Eigentümer restituiert. Im Fall der "Postvilla" in Obersievering, der als "besonders krasses Beispiel" kritisiert wird, behauptet Zoglauer, die Rückgabeforderungen der Familie de Reitzes seien in den 1950er-Jahren abgelehnt worden, da es sich bei der "Postvilla" um eine soziale Einrichtung gehandelt habe und die Antragsteller ohnedies "vermögende Leute" gewesen seien. Der Rückstellungsvergleich sei von einem Bevollmächtigten vier Tage nach dessen Tod unterzeichnet worden und daher aus heutiger Sicht "ungültig", denn ein Toter könne keinen Vergleich abschließen, so Zoglauer. Das hat er auch nicht. Die Rückgabeforderung wurde in den 1950er-Jahren nicht abgelehnt, schon gar nicht mit der behaupteten Begründung, sondern es wurde vor der Rückstellungskommission ein Vergleich abgeschlossen und protokolliert, und zwar Monate vor dem Tod von de Reitzes. Zudem gab es keinerlei Hinweise, dass der Selbstmord in einem Zusammenhang mit dem Vergleichsabschluss stand. Die Behauptung, de Reitzes sei "vor allem von der in anderen Fällen immer wieder kritisierten Verzögerungstaktik und mangelnden Kooperationsbereitschaft der Kommission" zermürbt gewesen, ist eine nachträgliche, nicht belegte Unterstellung. Auch der Fall der nach Australien emigrierten Wienerin Rosa Weinberger wird falsch dargestellt. Dem Antrag auf Naturalrestitution einer der Stadt Wien gehörenden Liegenschaft in Aspern wurde zum Teil stattgegeben. Die Antragstellerin wollte das Grundstück, auf dem die Gemeinde Wien zuvor den Naturpark "Himmelteich" errichten hatte lassen, nach der Empfehlung nicht mehr in natura zurück, sondern stattdessen ein Ersatzgrundstück. Zoglauer behauptet, sie habe auf eine Rückstellung verzichtet und sei kurz darauf verstorben. Der Hinweis im Film, dass ihre Erbinnen mit Geld entschädigt wurden, bleibt in Zoglauers Artikel unerwähnt. Nichts kann das geschehene Unrecht der NS-Zeit "wiedergutmachen", aber der Film und Zoglauers Artikel erweisen der Aufarbeitung der "Arisierungen" und Restitution in Österreich mit falschen Behauptungen und tendenziösen Auslassungen keinen großen Dienst. In diesem Sinne: Let's keep it real.

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