Lettische Charmeoffensive

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"Mann, 35, 1,80 m groß, schlank, ohne Sucht- und Alltagsprobleme sucht Frau bis 42 für gemeinsame Spaziergänge.“ Kontaktanzeigen aus Zeitungen sind der Ausgangspunkt von Alvis Hermanis Theaterstück "Lettische Liebe“, das seine Erstaufführung im deutschsprachigen Raum bei den Wiener Festwochen feierte.

Der lettische Theaterregisseur Hermanis, dessen "Platonov“-Inszenierung erst vor Kurzem Premiere im Wiener Akademietheater hatte, führt hier gemeinsam mit Schauspielern des Neuen Theaters Riga einen bunten Reigen an losen Szenenfolgen rund um Liebe, Sehnsucht und Einsamkeit vor. Hermanis legt Wert darauf, dieses Spiel nicht als Dokumentarisches Theater misszuverstehen, vielmehr dienen Regisseur und Schauspielern die Kontaktanzeigen nur als Inspirationsquelle für das gemeinsame Erarbeiten verschiedener Charaktere und deren fiktiver Liebesgeschichten. In dreizehn kurzen Szenen werden so die fragilen Lebensentwürfe hinter den abgehackt formulierten Zeitungsannoncen zum Leben erweckt. Sie zeigen eine lettische Gesellschaft, die sich in zwei Gruppen teilt: jene, die den Zerfall der Sowjetunion miterlebt hat, und jene, die mit den Erinnerungen der älteren Generation nichts mehr anzufangen weiß.

Paarweise treten sie vor die mobilen Bühnenbilder in Postkartenoptik, wie zum Beispiel Katrina und Ingus, ein jugendliches Rebellenpärchen, das sich auf den Dächern Rigas selbst geschriebene Gedichte vorliest und trotzig der Welt zuruft: "Wir wollen nicht Teil dieser Gesellschaft sein!“

Zwischen Realität und Fiktion

Das schweigsame Treffen am Meer zwischen Vitolds und Ilona, die sich bei ihrer ersten Begegnung schwertun, die Badekleidung anzuziehen, ohne dabei schon zu viel von sich zu zeigen. Oder Dzidra und Alberts, zwei einsame Pensionisten, die beim gemeinsamen Lösen von Kreuzworträtseln einen kurzen Moment des Glücks verspüren.

Als Zuschauer hat man das Gefühl, unbeteiligter Beobachter alltäglicher Gespräche und Begebenheiten zu sein. Da die meisten der Szenen im Freien spielen, wie etwa an der Bushaltestelle, im Bahnhofscafé oder am Strand, verstärkt sich dieser Effekt noch zusätzlich. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen Realem und Fiktiven; in diesem Sinne ist es also doch Dokumentartheater, ohne aber dabei voyeuristisch zu werden.

Vielmehr ist es eine liebevolle Hommage an die Menschen in Lettland, die von den fünf Schauspielern mit viel Witz, Charme und Verve auf die Bühne gebracht wird. Die Befürchtung, das Stück könnte zu viele lettische Bezüge aufweisen, um auch anderswo verstanden zu werden, die Hermanis im Programmheft formuliert, ist unbegründet. Die Formen der Suche nach Liebe mögen zwar sehr lettisch sein, ihr Ausdruck ist oftmals aber sogar ohne Simultanübersetzung verständlich. Am Schluss stimmen alle in die inoffizielle Nationalhymne Lettlands ein: "Put vejini!“ (Wind weh!), ein Lied über die Sehnsucht nach Liebe natürlich.

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